Belia Zanna Geetha Brückner
3 x Blumen, 2 x Cremant Avery 0,75 l, 5 x Fisch-Menü, 9 x Hirschrücken-Menü, 3 x Veggie-Menü
Textbeitrag: Johanna Treblin
Gestaltung: BY STUDIO
16 Seiten, 12 Abbildungen
Textbeitrag: Johanna Treblin
Gestaltung: BY STUDIO
16 Seiten, 12 Abbildungen
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
I only work with lost and found führt individuelle und heterogene Arbeiten der 15 Künstlerinnen* zusammen. Der Titel bezeichnet das, was die gezeigten Werke bei all ihrer Verschiedenartigkeit verbindet: zyklische Prozesse künstlerischen Arbeitens genauso wie die Auseinandersetzung mit ästhetischen, narrativen, historischen und politischen Brüchen und Kontinuitäten.
Lost and found verweist auf das Verlernen und Verlieren als aktive Handlungen, auf Verborgenes und Verdrängtes und benennt zugleich vielfältige Möglichkeiten des Wiederfindens, des Eingreifens und des Neu-Zusammensetzens. Im Zentrum vieler der gezeigten Arbeiten steht das Ausmachen und Wiederentdecken verschütteten Wissens, die Auseinandersetzung mit Erinnerung und Verlust sowie die Entwicklung auch aktivistischer Strategien inner- und außerhalb des Kunstfeldes.
Die 15 in Berlin arbeitenden Künstlerinnen* präsentieren aktuelle Werke – zu sehen sind Malerei auf Leinwand und im Raum, Fotografie und multimediale Installationen, prozessuale Versuchsanordnungen, Performances, recherche-basierte Dokumentationen und Skulpturen. Viele der Werke sind genreübergreifend und entziehen sich Kategorisierungen; ihnen liegt ein kumulativer, nachhaltiger, forschender Umgang mit Natur, mit Quellen und Material zu Grunde.
Die Gruppenausstellung ist eine Kooperation des Goldrausch Künstlerinnenprojekts mit dem Fachbereich Kultur und Geschichte des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin und wird von Mona Hermann (Goldrausch-Absolventin 2020) und Hannah Kruse kuratiert.
Künstlerinnengespräche und ein Katalog begleiten die Ausstellung.
Freitag, 30.08.2024, 17:00–23:00 Uhr
Ab 18.00 Uhr
DJ-Set von Afida und Mia Duni
Afida und Mia Duni kreieren als FLINTA-DJ-Duo genreübergreifende Vinyl-Sets mit einem groovigen Nenner. Gemeinsam haben sie Gastsendungen für Noods Radio, Radio Relativa, RBL aufgenommen und in verschiedenen Locations in Berlin gespielt.
19.00 Uhr
Begrüßung und Einführung durch Micha Klapp, Staatssekretärin für Arbeit und Gleichstellung, SenASGIVA (Videobotschaft), Clara Herrmann, Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg, Stéphane Bauer, Leiter Kunstraum Kreuzberg/Bethanien sowie Mona Hermann und Hannah Kruse, Ausstellungskuratorinnen
21.00 – 22.00 Uhr
Musikperformance von Horizontaler Gentransfer
Zur Eröffnung performt Mizi Lee (Goldrausch 2024) mit ihrer K-Punk-Band Horizontaler Gentransfer (HGT), die sie gemeinsam mit fünf Künstlerinnen mit Migrationshintergrund im Jahr 2022 gründete. HGT bewegen sich an der Schnittstelle von Bildender Kunst, Performance und Theater und erforschen Themen wie Mode, Infektion und Migration.
Donnerstag, 19.09.2024
18.00 – 19.30 Uhr: Ausstellungsrundgang mit Lena Fließbach, Kuratorin und Autorin, und 5 ausstellenden Künstlerinnen*
In deutscher Sprache.
20.30 – 22.00 Uhr: Lecture-Performance von Jeanna Kolesova (Goldrausch 2024) und Elena Ishchenko, Kuratorin und Forscherin
Welche politischen Narrative werden durch die Formung von kollektiver Erinnerung erzeugt? Ausgehend von einer recherche-basierten Praxis untersuchen Jeanna Kolesova und Elena Ishchenko in ihrer Performance-Lecture When the past becomes a weapon the future disappears die Folgen der kolonialen und imperialen Politik Russlands. Sie gehen der Frage nach, wie eine repressive Erinnerungspolitik dazu beiträgt, staatliche Souveränität zu demonstrieren sowie fortlaufende Expansion und Kriege zu rechtfertigen.
In englischer Sprache.
Sonntag, 29.09.2024
15.00 – 16.30 Uhr: Ausstellungsrundgang mit Hajra Haider Karrar, Kuratorin und Autorin, und 5 ausstellenden Künstlerinnen*
In englischer Sprache.
16.30 Uhr –19.00 Uhr: Workshop zur Prozessbeobachtung mit Justice Collective – eingeladen von Belia Zanna Geetha Brückner (Goldrausch 2024)
Justice Collective hat sich zum Ziel gesetzt, den Rassismus in der Justiz und im Strafsystem zu dokumentieren. Der Workshop vermittelt die Abläufe von Strafverfahren, um Teilnehmende optimal auf ihre erste Prozessbeobachtung vorzubereiten.
In deutscher Sprache.
www.justice-collective.org
Sonntag, 13.10.2024
13.30 – 14.30 Uhr: Listening Session mit Mizi Lee (Goldrausch 2024)
Mizi Lee, Gründerin der Band Horizontaler Gentransfer (HGT), präsentiert die Lieder, die sie inspiriert haben. Ein kulturelles Crossover von Georg Kreisler, Udo Jürgens und den Goldenen Zitronen bis zu Aespa und BTS.
In deutscher Sprache.
15.00 – 16.30 Uhr: Ausstellungsrundgang mit Tomke Braun, Kuratorin und Autorin, und 5 ausstellenden Künstlerinnen*
In deutscher Sprache.
16.30 Uhr: Pop-up Sorbet-Verkostung mit Eva-Fiore Kovacovsky (Goldrausch 2024)
Eva-Fiore Kovacovsky serviert Buchenblattsorbet aus frischen Buchenblättern, die sie in einem Wald am Rande Berlins gesammelt hat. Beech-Leaf Sorbet (2024) ist Teil des in der Ausstellung präsentierten Projektes Vernal Unfolding, für das Kovacovsky mit den Blättern der Rotbuche (Fagus sylvatica) arbeitete.
17.00 – 19.00 Uhr: Lesegruppe mit Eva-Fiore Kovacovsky (Goldrausch 2024) und Sina Ribak, Forscherin für Ökologie und Kunst
Die Lesegruppe Between Us and Nature ist mit ihrer 51. Edition zu Gast in der Ausstellung. In diesem transdisziplinären Austauschraum lernen die Teilnehmenden Erzählungen kennen, die von Bakterien, Algen, Pilzen und Böden inspiriert sind. Gelesen wird ein Text aus dem Themenbereich Naturwissenschaft, Kunst, Anthropologie, Postkolonialismus und (Post)Anthropozän.
In englischer Sprache.
Mit Anmeldung an: office@goldrausch.org
Laufzeit: 31.08–03.11.2024
Eröffnung: 30.08.2024, 17–23 Uhr
Öffnungszeiten:
So – Mi 10–20 Uhr
Do – Sa 10–22 Uhr
Eintritt frei
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
Goldrausch-Team
Projektleitung: Hannah Kruse
Lehrkoordination: Veronika Bartelt
Kursbegleitung und Öffentlichkeitsarbeit: Manon Frugier
Verwaltung & Finanzen: Ulrike Riebel, Klara Hülskamp
Ausstellungsleitung: Mona Hermann, Hannah Kruse
Team Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Leitung des Kunstraum Kreuzberg/Bethanien: Stéphane Bauer
Programmkoordination: Sofía Pfister
Produktionsleitung: Kristoffer Holmelund
Projektmitarbeit: Melina Gentner, Dani Hasrouni, Johanna Janßen, Viktoria Weber
Weitere Mitarbeitende: Josef Stöhr
Belia Zanna Geetha Brückner (* Mönchengladbach) studierte zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Goldsmiths, University of London. Ihre recherchebasierten Arbeiten wurden unter anderem mit dem Karl H. Ditze-Preis und mit dem Max Ernst-Stipendium ausgezeichnet und in Einzel- sowie Gruppenausstellungen in Hamburg (2023), Prag (2023), London (2023) und Berlin (2022) gezeigt. Aktuell ist sie Trägerin des Stipendiums der Hamburger Kulturstiftung zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses.
Worum ging es in deiner Abschlussarbeit „Guten Appetit“?
Mich interessiert die politische, soziale und kulturelle Funktion von Tischgesellschaften. Bei politischen Zusammenkünften finden bei einem gemeinsamen Essen oft informelle sowie formelle Nach- oder Vorgespräche statt. Drei solcher Tischgemeinschaften habe ich für diese Arbeit ausgewählt: das Catering der Kultusministerkonferenz, das Matthiae-Mahl 2023, zu dem seit 1356 in Hamburg jährlich einflussreiche Personen geladen sind, und ein Frühstück aus der parlamentarischen Gesellschaft im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre. Daraus ist eine Installation in der Mensa entstanden. Während der Ausstellungslaufzeit konnte man dort jeden Tag ein anderes der drei Menüs bestellen. Es gab weiße Tischdecken und wechselnde Blumengestecke, Tischkarten und Hinweise zu den Hintergründen.
Wie entsteht aus deinen Ideen eine Form?
Da ergibt eins das andere. Es ist mir wichtig, die Infrastruktur, wie etwa die Mensa an der Hochschule, miteinzubeziehen. Ich denke gern in Interventionen. Für eine Ausstellung im EIGEN + ART Lab in Berlin habe ich zum Beispiel mit der Galerie einen Vertrag gemacht, der an der Wand angebracht war.
Was für ein Vertrag war das?
Die Ausstellung zeigte eine Recherche zu Gefangenentelefonie. Im Raum habe ich meine private Telekommunikation von 6 Monaten dokumentiert und die Galerie hat sich verpflichtet, für all diese Gesprächsminuten – quasi nach dem Tarif einer gefangenen Person – Geld an eine von mir ausgewählte Organisation namens Justice Collective zu spenden. Was mich an Strafgesetzen generell interessiert, ist deren Abhängigkeit von kulturellen und gesellschaftlichen Normen. Was gestern noch kriminalisiert wurde, kann morgen legal und gesellschaftlich akzeptiert sein.
Welche Rolle spielt für dich das Publikum?
Ich mag es, wenn meine Arbeiten einen interaktiven Charakter haben. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich finde es schön, diesen Austausch mit 14 anderen Künstlerinnen zu haben und vielleicht sogar Leute für gemeinsame Projekte zu finden.
Interview: Beate Scheder Foto: Björn Eichhorn
Isabelle Heske (* 1990 in Düsseldorf) studierte Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf und an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, zuletzt in der DOD Gallery in Köln, im MMIII Kunstverein Mönchengladbach, im Krefelder Kunstverein, in der Mixer Arts Gallery in Istanbul, im K21 Ständehaus, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalenund im KIT – Kunst im Tunnel in Düsseldorf. Zudem war sie Stipendiatin der Kunststiftung NRW im Atelier Galata in Istanbul.
Mit welchen Materialien arbeitest du?
Ich beschäftige mich mit abstrakter Malerei und arbeite überwiegend mit vorgefundenen Stoffen, die ich mit Farbe bemale oder bedrucke. Meine Sammlung an Stoffen und Kurzwaren ist sehr groß. Die Stoffe können eine sichtbare Vergangenheit haben, sodass ich sie beispielsweise aufwändig restauriere. Außerdem arbeite ich mit Accessoires oder Kurzwaren, die ich als Schmuck für meine Bilder verwende.
Wie muss ein Stoff sein, damit du ihn auswählst?
Oft finde ich Stoffe an Orten, die eine Art lokaler Geheimtipp sind. Besonders mag ich solche Stoffe, die nicht unbedingt anschmiegsam für den Körper sind, weil sie zum Beispiel eine Beschichtung haben, wie es bei einer Leinwand in der Malerei der Fall ist. Mich sprechen aber natürlich auch modisch tragbare Stoffe und aktuelle Stoffkollektionen an. Gerne lasse ich mich von meiner Umgebung inspirieren. Als ich etwa für drei Monate in Istanbul war, sind mir viele textile Blauvariationen aufgefallen. Ich sah darin den Bosporus. Stoffe spiegeln für mich die Menschen und den Ort wider.
Wie entstehen deine Bilder?
Auf der Suche nach neuen Materialien und Farben reflektiere ich alltägliche urbane Situationen, aktuelle Nachrichten, Einflüsse aus Mode, Musik, Design und Architektur, aber auch urbane Naturphänomene. Das können Anfänge für ein Bild sein. Mir geht es um eine besondere Verbindung zwischen den textilen Oberflächen und den unterschiedlichen Materialien der Accessoires, die ich verwende. Ich mag die Kontraste zwischen Natürlichem und Synthetischem. Ich versuche darin eine Balance zu finden, um ein gutes Bild zu schaffen.
Wann kommen die Titel dazu?
Nach Beendigung des Werkes. Für mich sind Titel eine Möglichkeit, Einlass zu finden. Ich versuche, mit ihnen eine Geschichte zu erzählen, eine Erinnerung oder ein Gefühl zu erwecken.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich habe mich darauf gefreut, kunstschaffende Frauen kennenzulernen, die in einer ähnlichen Lage sind. Es ist mir wichtig, viele unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen.
Interview: Beate Scheder Foto: Alena Schmick
Textbeitrag: Roger Rohrbach
Gestaltung: HFS Studio
16 Seiten, 12 Abbildungen
Textbeitrag: Eva Wilson
Gestaltung: Alina Schmuch & Jan Kiesswetter
16 Seiten, 18 Abbildungen
Leonie Kellein (* 1993) arbeitet in den Bereichen Film, Video und Skulptur. In ihrer transmedialen Praxis erprobt sie die Durchlässigkeit von Materie und Materialität, indem sie komplexe Erzählungen über Trauma, verkörpertes Wissen und historische Kontinuitäten entwickelt. Kellein ist Absolventin des Goldsmiths, University of London und der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten, darunter das Hamburger Arbeitsstipendium, das MAK-Schindler-Stipendium und den Förderpreis der Arthur Boskamp-Stiftung in Hohenlockstedt.
Wie findest du die Themen für deine Arbeiten?
Ich arbeite ortsspezifisch. Meine Arbeit „A Wing Beat! A Wing Beat!“ geht von einer Gemeinde in Schleswig-Holstein aus, ehemals Lockstedter Lager, die während des deutschen Kaiserreichs und der Nazizeit für militärische Übungen genutzt wurde. Über eine Postkartensammlung mit Luftbildfotografien des Lagers stieß ich auf das Thema Brieftauben. Aus historischen Brieftaubenfotografien habe ich dann die Idee entwickelt, meiner Kamera eine Perspektive zu geben, die einer fliegenden Taube folgt.
Laut deines Artist-Statements untersuchst du, wie die Nicht-Sichtbarkeit eines Traumas Form findet. Wie kann so eine Form aussehen?
Mir geht es weder inhaltlich noch formal um Repräsentation. Ein Trauma kann man nicht „abbilden“. Durch das permanente Verändern eines formalen Zusammenhangs kann ich mich einer komplexen Sache besser nähern. Meine Filme gehen bewusst von verschiedenen Subjekten, Körpern und Zeiten aus. Ich versuche herauszufinden, wie man die Form, eigentlich den ganzen Film, im Sinne geteilter Momente erleben kann.
Du machst Filme, aber nicht nur. Wie können deine Arbeiten aussehen?
Oft nutze ich durchlässiges oder durchsichtiges Material. Ich arbeite viel mit Licht, mit Sound und Loops. Wenn ich Objekte im Raum zeige, geht es um einen Prozess der ständigen Wiederholung und Bewegung. Mir ist die Anhäufung von Schichten wichtig. Unser Leben ist polyfokal.
Wie gehst du bei der Recherche vor?
Im besten Fall ist es so, dass ich von einem ausgewählten Ort ausgehen kann, indem ich dort ausreichend Zeit verbringe und mich mit Expert*innen oder anderen Menschen, die involviert sind, austausche. Zusätzlich recherchiere ich im Nachhinein weiter.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich arbeite über Jahre hinweg an sehr komplexen Projekten. Es geht mir darum, sie zu vermitteln. Bei Goldrausch habe ich mich beworben, um Vermittlung zu lernen und mich mit anderen Künstler*innen zu vernetzen.
Interview: Beate Scheder Foto: @touriszt (Instagram)
Textbeitrag: Lilia Yuldasheva
Gestaltung: Christina Wunderlich
16 Seiten, 20 Abbildungen
Jeanna Kolesova (* 1988 in Sumpfdorf, Russland) ist Künstler:in, Filmemacher:in und Forscher:in. Jeanna studierte Dokumentarfilm und Fotografie in St. Petersburg, Interaktive Medien am CalArts und Experimentalfilm und Neue Medien an der Universität der Künste Berlin und arbeitet in mehreren künstlerisch-politischen Gruppen. Jeannas Arbeiten waren unter anderem im Kunstraum Kreuzberg in Berlin (2023), beim EMOP Berlin (2023), auf der HYBRID Biennale in Hellerau (2022), in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (2021) und im Museum für Fotografie in Berlin (2021) zu sehen. Seit Juni 2024 erhält Jeanna das KUNSTFONDS_Stipendium.
Du beschäftigst dich mit kollektiver und persönlicher Erinnerung. Was interessiert dich daran?
Ich habe neulich darüber nachgedacht, warum ich beides zusammenbringe. Der Grund ist: Kollektive Erinnerung kann ohne persönliche Erinnerung nie vollständig sein. Sehr oft ist es die persönliche Erinnerung, die Momente bewahrt, die traumatisch und schmerzhaft und deswegen schwer zu manipulieren sind. Ich meine damit insbesondere diejenige von Gruppen, die marginalisiert werden und der kollektiven Erzählung nicht zustimmen.
Was für Erinnerungen untersuchst du?
Zum Beispiel war das die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Russland. Gerade arbeite ich an anderen Themen, in Bezug zur Torfindustrie in der Sowjetunion.
Wie recherchierst du?
Um kollektive Erinnerungen in Russland zu analysieren, habe ich viel mit Umfragen gearbeitet, die ca. zwischen 1995 und 2020 in Russland geführt wurden. Ich habe aber auch mit den Erinnerungen und Geschichten meiner Familie, mit denen meiner Großmutter sowie mit meinen eigenen gearbeitet. Oft führe ich auch Interviews mit Betroffenen, um die Geschichten direkt von den Personen zu erfahren. Wenn das nicht geht, benutze ich Auszüge aus Romanen oder verschriftlichten Erinnerungen. Auch Objekte der Popkultur werte ich aus. Bei meinen Analysen versuche ich herauszufinden, wie Erinnerungen manipuliert werden.
Wie reagiert das Publikum auf deine Arbeiten?
Abhängig von den jeweiligen politischen Ansichten sind die Reaktionen entweder sehr positiv oder sehr negativ. Ein paar Mal schon haben Menschen aus Russland, denen ihre Art der Erinnerung heilig ist, sehr aggressiv reagiert. Ich halte es aber für wichtig, eine andere Perspektive zu zeigen und Erinnerungsmanipulation sichtbar zu machen.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich habe letztes Jahr mein Studium abgeschlossen. Es ist gut, durch Goldrausch in dieser Phase Teil einer kleinen Gruppe zu sein, in der man sich bei Fragen zum Weg in die Professionalität gegenseitig unterstützt.
Interview: Beate Scheder Foto: Lee Thieler
Textbeitrag: Lena Fließbach
Gestaltung: Büro Bum Bum
16 Seiten, 21 Abbildungen
Eva-Fiore Kovacovsky (* in Bern) hat an der Schule für Gestaltung Basel und an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam studiert, wo sie mit einem B. A. abschloss. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt, unter anderem im Bärenzwinger in Berlin, im Kunstfort bij Vijfhuizen in den Niederlanden, in der Kunsthall Stavanger in Norwegen und im Aargauer Kunsthaus in der Schweiz. Ihr Künstlerinnenbuch Feeding on Light erschien 2023 bei Roma Publications. Sie war unter anderem Gastdozentin an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Seit 2017 leitet sie mit Sina Ribak das Projekt Between Us and Nature – A Reading Club in Berlin.
Woher kommt dein Interesse an Pflanzen?
Das hat sich schon in meiner Kindheit entwickelt. Mein Vater hat in den 1980er Jahren eines der ersten vegetarischen Restaurants in der Schweiz eröffnet. Meine Eltern waren immer sehr interessiert an Pflanzen und haben das an mich weitergegeben. Ich bin am Waldrand aufgewachsen und habe als Kind bereits viele Pflanzen und Blumen gesammelt und gepresst. Nach meinem Studium war sehr eindeutig, dass Pflanzen mein Thema sind und es schon immer waren.
Sind Pflanzen für dich Thema oder Material oder beides?
Beides. Pflanzen betrachte ich insbesondere als Nahrung, nicht nur für uns Menschen, sondern auch für andere Organismen. Sie schaffen Verbindungen zwischen Lebewesen, das macht sie für mich zu einem spannenden Thema. Ich benutze sie aber auch als Material.
Über was für Pflanzen sprechen wir?
Letztes Jahr habe ich eine Arbeit zu Buchen und Buchenblättern gemacht. Insbesondere ging es dabei um den Geschmack der Blätter, wenn man sie isst. Für „Feeding on Light“, eine Arbeit, aus der auch ein Buch entstanden ist, habe ich Laubblätter mit Fraßspuren verschiedener Organismen gesammelt. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit Gräsern als Verwandte von Kulturpflanzen. Während eines Aufenthalts in Sri Lanka habe ich mich mit der Jackfruit auseinandergesetzt. Zu all diesen Pflanzen habe ich einen persönlichen Bezug, den ich zum Anlass für meine Recherchen genommen habe.
Welche Formen können deine Arbeiten annehmen?
Ich habe Fotografie studiert und arbeite viel mit verschiedenen fotografischen Techniken – oder besser gesagt: Reproduktionstechniken, weil auch Frottagen, Fotokopien oder sogar Gipsabgüsse dabei sein können. So schaffe ich Abbilder von Pflanzen und neue Bildwelten, die zum Teil tastbar sind. Zusammen mit Sina Ribak leite ich aber auch die Lesegruppe „Between Us and Nature“ und lese zu ökologischen Themen. Auch dieser Austausch ist für mich sehr wichtig.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich wollte mich noch mal neu in Berlin vernetzen. Inspiriert haben mich zwei Künstlerinnen, die sich vor fast 20 Jahren bei Goldrausch kennengelernt haben und immer noch ab und zu zusammenarbeiten.
Interview: Beate Scheder Foto: Juan Saez
Textbeitrag: Anna Seidel
Gestaltung: Laurens Bauer
16 Seiten, 58 Abbildungen
Mizi Lee absolvierte 2023 ihr Diplom in Bildender Kunst bei Prof. Ricarda Roggan und Schorsch Kamerun an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, wo sie aktuell Meisterschülerin ist. Sie arbeitet interdisziplinär, nutzt alle Arten von Medien und überschreitet die Grenzen aller Disziplinen, um ein einzigartiges Ereignis zu schaffen. Mit ihrer Band Horizontaler Gentransfer ist sie unter anderem im Theater Rampe in Stuttgart sowie der Komischen Oper Berlin aufgetreten. Aktuell ist sie Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg.
Du hast erst Malerei studiert, machst inzwischen Performance. Wie kam es dazu?
Als ich als Austauschstudentin nach Stuttgart gekommen bin, war ich von den vielen Werkstätten an der Hochschule überrascht und wollte alle ausprobieren. Anstatt aber verschiedene Techniken zu lernen, habe ich mich mit den Werkstattleitern angefreundet. Wir haben viel Kaffee getrunken, gegrillt und ich bin in die Akademische Betriebskapelle eingetreten, eine Band an der Schnittstelle von Musik und Kunst. 2022 habe ich für meine Abschlussprüfung die Band Horizontaler Gentransfer gegründet, mit der ich Konzerte, Performance und auch Ausstellungen mache.
Was passiert bei euren Auftritten?
Wir spielen nicht nur Musik, sondern es gibt auch Erzählungen und Videos. 2023 haben wir ein Musical produziert. Wir verstehen uns als bildende Künstlerinnen: Aus kunsthistorischen Zitaten ergeben sich verschachtelte Ebenen, die man nur verstehen kann, wenn man unsere Performances als Kunst wahrnimmt.
Was zeigt ihr bei Ausstellungen?
Wir produzieren Objekte, mit denen wir uns über die großen Institutionen zeitgenössischer Kunst lustig machen. Seit ein paar Jahren drucken das MoMa oder der Hamburger Bahnhof Taschen, T-Shirts und Fanzines in ihrem Corporate Design und halten das für innovativ, dabei macht die Punkszene das schon lange. Wir haben es wieder umgedreht, unser eigenes Fanzine gedruckt und so getan, als handle es sich um eine Edition einer noblen Galerie. Unser Album versteckt sich in einer Graspapierschachtel mit Siebdrucken und für eine Ausstellung in L.A. habe ich kürzlich ein Video produziert, das wie eine Fake-Heimatsendung des SWR wirkt.
Arbeitest du auch als Solokünstlerin?
Die Frage, wie ich von der kollektiven Arbeit zu mir zurückkommen kann, beschäftigt mich derzeit viel. Vor zwei Monaten habe ich ein neues Projekt begonnen, an dem ich allein arbeite.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Goldrausch will ich nutzen, um darüber nachzudenken, was es heißt, als Frauenkollektiv, aber auch als Solokünstlerin in der Kunstwelt aufzutreten.
Interview: Beate Scheder Foto: Jan Hottmann
Marei Loellmann studierte Modedesign und Bühnenbild an der Willem de Kooning Academy in Rotterdam und an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. Ihre Arbeiten wurden – solo und kollektiv – in unterschiedlichen Kontexten präsentiert, darunter in der Galerie im Körnerpark in Berlin, beim Copenhagen Opera Festival, im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, in der Arthur Boskamp-Stiftung in Hohenlockstedt, in der Galerie Gosserez in Paris und bei District Berlin. Marei Loellmann wurde unter anderem mit einem Stipendium der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen, der Stiftung Kunstfonds sowie dem Elsa-Neumann-Stipendium ausgezeichnet.
Du hast zunächst Modedesign und Bühnenbild studiert. Wie kamst du von dort zur Kunst?
Ich habe mich schon immer für die Verschränkung verschiedener Disziplinen interessiert. Mein Studium habe ich vor allem dafür genutzt, um ein fundiertes Verständnis für den Körper im Raum zu entwickeln. Das konnte ich später gut auf die Kunst anwenden.
Inwiefern?
In meiner Arbeit befrage ich den eigenen Körper in Interaktion mit seiner Umgebung. Ich möchte mit meinen Arbeiten Erfahrungs- und Handlungsra?ume generieren, die dazu einladen, verinnerlichte Strukturen kollektiv zu ertasten und zu dekonstruieren. Das mache ich in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialien und in unterschiedlichen kollektiven Arbeitszusammenhängen.
Wie wählst du deine Materialien aus?
Ich arbeite mit Materialien, die meinen Körper umgeben. Oftmals sind das solche, die auf die menschliche Ausbeutung von Ressourcen zurückzuführen sind, wie Asche von der Verbrennung von Braunkohle oder Holz, Baumaterialien wie Beton und Spanngurte sowie zuletzt Vulkanasche. Ich löse die Materialien aus ihren sozialen Konstruktionen und füge sie zu Erzählungen zusammen, in denen Kategorien wie natürlich und künstlich oder menschlich ineinanderfließen.
Was hast du mit Beton gemacht?
Mit Beton assoziieren wir Eigenschaften wie standhaft, massiv und schwer. Indem ich den Beton mit Asche anstelle von Sand gieße, erweitern sich seine Eigenschaften in fragil und leicht. Das als fest geglaubte bekommt Risse, wird porös und somit vergänglich. Den Beton verbinde ich mit textilen Materialien, oft handgewebten Strukturen, wodurch die Grenzen zwischen Träger und Getragenem, Festigkeit und Beweglichkeit anfangen, sich zu verschieben.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich wollte mir ein Jahr nehmen, um mich den strukturellen und organisatorischen Fragen zu widmen, die als Künstlerin wichtig sind.
Interview: Beate Scheder Foto: Caroline Seeliger
Textbeitrag: Tomke Braun
Gestaltung: Johanna Flöter
16 Seiten, 18 Abbildungen
Gülşah Mursaloğlu (* 1989, Istanbul) studierte Soziologie (B. A.) an der Boğaziçi University in Istanbul und Fine Arts (M. A.) an der School of the Art Institute of Chicago. In ihren zumeist installativen Arbeiten erforscht sie Materialität, die Agency von Materie sowie menschliche und nichtmenschliche Zeitlichkeiten. Ihre Arbeiten wurden bei Art Laboratory Berlin, in der Green Art Gallery in Dubai, bei Protocinema und Sanatorium in Istanbul gezeigt. Sie erhielt ein Residenz-Stipendium am EKWC (European Ceramic Work Centre) in Oisterwijk sowie eine Arnis Residency in Norddeutschland und war Teilnehmerin des Istanbul Biennial Research and Production Programme.
Woran arbeitest du gerade?
Im Dezember habe ich eine Ausstellung in der Sanatorium Galerie in der Türkei, darin beschäftige ich mich mit zwei Phänomenen, mit dem Schlaf und mit Eiern.
Wie kamst du darauf?
Schon seit 2019 bin ich von Eierschalen fasziniert. Zu der Zeit habe ich eine künstlerische Residenz in einem Keramikstudio gemacht und viel über Mineralien als Material nachgedacht. Ich habe dort die Eierschalen von allen gesammelt, die die Gemeinschaftsküche benutzt haben und diese in die Glasur gemischt, um zu sehen, wie sie auf Druck und Hitze reagieren. Damals fand ich auch den partizipativen Aspekt der Arbeit spannend. Heute sind Eierschalen für mich primär ein Gefäß für das Leben. Mich interessieren die Umstände, die das Leben aufblühen lassen.
Und der Schlaf?
Mein Interesse am Schlaf begann, als ich vergangenes Jahr Mutter geworden bin. Im ersten Jahr mit einem Baby geht es sehr viel um Schlaf. Während ich versucht habe, die Schlafphasen meines Babys zu planen, habe ich bemerkt, wie fragil Schlaf ist. Gleichzeitig habe ich realisiert, dass Schlaf etwas ist, was sich der Optimierung widersetzt. Dieser Aspekt interessiert mich sehr.
Wie wählst du die Materialien aus, mit denen du arbeitest?
Meine Installationen sind aktive Systeme, die auf den Raum und auf die Zeit reagieren. Ich arbeite gerne mit organischem Material, das sich mit der Ausstellungsdauer verändert. Bei der Auswahl folge ich oft einer kindlichen Neugier. Was mich sehr interessiert, ist das menschliche Verlangen, Dinge zu manipulieren und effizienter zu machen, außerdem die Frage, wie wir und andere Spezies Vergänglichkeit und Zeitlichkeit wahrnehmen.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich bin vor drei Jahren nach Berlin gezogen. In den ersten beiden Jahren war ich hauptsächlich mit Projekten außerhalb der Stadt beschäftigt. Jetzt habe ich ein großes Bedürfnis, mich mehr in Berlin zu vernetzen und weitere Fähigkeiten zu erlernen, um mich in der Berliner Kunstwelt zurechtzufinden.
Interview: Beate Scheder Foto: Michiel Pijpe
Textbeitrag: Sina Ribak
Gestaltung: Louise Borinski
16 Seiten, 24 Abbildungen
Laura Nitsch studierte an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, am San Francisco Art Institute und an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre Arbeiten wurden bei der Diagonale in Graz, in Wien im mumok kino, in der Exhibit Galerie, im Kunstraum Niederösterreich und im Blickle Kino im Belvedere 21 gezeigt, sowie im atelier automatique (während der Ruhrtriennale) in Bochum, in der nGbK in Berlin und im Internet. Sie war Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste Wien und der Züricher Hochschule der Künste. 2020 erhielt sie den Theodor-Körner-Preis, 2023 wurde ihre Arbeit Violett für die Kunstsammlung der Stadt Wien angekauft.
Wie kommst du auf die Ideen für deine Arbeiten?
Meistens stoße ich zufällig auf etwas, manchmal suche ich aber auch konkret. Bei meiner Arbeit „VIOLETT“ habe ich mich zum Beispiel mit dem Roten Wien beschäftigt. Es war Jubiläumsjahr und ich habe in Wien gelebt. Nachdem ich mir verschiedene Ausstellungen zum Verhältnis von Architektur, Sozialismus und Klasse angeschaut hatte, habe ich mich gefragt, ob Homosexualität oder queeres Leben im Roten Wien sichtbar waren.
Welche Themen interessieren dich besonders?
Klassenverhältnisse, insbesondere institutioneller und internalisierter Klassismus beschäftigen mich, auch, wie sich beides gegenseitig bedingt. Wichtig ist für mich außerdem das Verhältnis von Queerness und Armut oder Klassenverhältnissen. Ich interessiere mich dabei sehr stark für Repräsentationsfragen in Bildern oder Sprache. Außerdem befasse ich mich damit, wie sich Klassenverhältnisse auf die Bildung und damit auch auf das Kunststudium und die Kunstproduktion auswirken. In der Kunstwelt ist unbezahlte Arbeit normalisiert. Die Einkünfte aus künstlerischer Arbeit liegen oft an der Armutsgrenze.
Wie gehst du bei deinen Recherchen vor?
Manchmal verwende ich den Begriff des „Archival Cruising“, weil ich mich sehr subjektiv von eigenen Begehren und Interessen und meiner Lebensrealität bei der Recherche leiten lasse: Welche Geschichten oder Dokumente berühren mich, machen mich wütend, traurig oder glücklich?
Wie entstehen daraus Videoarbeiten?
Ich arbeite oft sehr lange an Projekten, häufe viel an und probiere Sachen aus. Oft entscheidet sich erst beim Sichten des Materials, was daraus werden kann, welcher Zugang sich gut anfühlt. Das Archivmaterial bringe ich mit neu gedrehtem Material oder mit Sound zusammen. In der Kombination verändern sich die Dinge, bis irgendwann alles passt.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich habe in Hamburg, San Francisco und Wien studiert und dort auch lange gelebt. Als ich nach Berlin gezogen bin, war es mir wichtig, neue Netzwerke aufzubauen.
Interview: Beate Scheder Foto: Sophie Thun
Textbeitrag: Carmen Lael Hines
Gestaltung: PPPANIK
16 Seiten, 23 Abbildungen
Eglė Otto ist eine deutsch-litauische Künstlerin. Seit ihrem Abschluss des Malereistudiums an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (2010) wurden ihre Werke in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt, unter anderem in New York und Peking sowie in Berlin im Haus am Lützowplatz und der nGbK. Eglė Otto hält außerdem Fachvorträge und ist als Dozentin tätig. Ihre Werke, die sich zwischen Abstraktion und Figuration bewegen, kommentieren die Debatte über die Sichtbarkeit feministischer Kunst und stehen im Dialog mit zeitgenössischen feministischen Theorien. In den Serien der Körperbilder (ab 2018) thematisiert sie Mutterschaft, weibliche Sexualität und Dynamiken zwischenmenschlicher Beziehungen
Auf vielen deiner Bilder sind Körperteile zu sehen. Was interessiert dich daran?
In meinen Körperbildern beschäftige ich mich mit Themen weiblicher Sexualität und ertaste, was weibliche Identität in der heutigen Zeit umfassen kann. Mich interessieren besonders die Dynamiken und Interaktionen zwischen Menschen und wie festgeschriebene Vorstellungen von Geschlechterrollen unsere Wünsche und Erwartungen beeinflussen. Die Malereien sind ein Aushandeln vom Figürlichen ins Abstrakte und manchmal einfach Hinweise auf banale Körperfunktionen.
Wie entstehen deine Motive?
Aus persönlichen Erfahrungen und meiner Auseinandersetzung mit zeitgenössischen feministischen Theorien. Ich kombiniere Themen der Mutterschaft mit verschiedenen Formen des Begehrens, weil ich denke, dass das eine besondere Spannung erzeugt. Mutterschaft ist komplex und vielfältig, weit entfernt von den idealisierten Darstellungen in der Werbung oder der klassischen Malerei. Meine Motive feiern das Fluide und das Prozesshafte. Sie streben nach Versöhnung.
Woran merkst du, dass ein Bild fertig ist?
Meine fertigen Bilder können auch wieder Material werden. Mir gefällt der Gedanke, dass meine Bilder nie wirklich fertig sind. Damit folge ich der Idee, von Fehlern als kreative Möglichkeit auszugehen. Ich glaube nicht an die konventionelle Vorstellung von künstlerischer Genialität.
Auf anderen Bildern arbeitest du mit Text, wie kam das?
Es begann mit einer großen Leinwand, auf der ich am Ende meines Malereistudiums alle bedeutenden Namen aufgeschrieben habe, die sich mir, bezogen auf Malerei, ins Gedächtnis geschrieben hatten. Am Ende der Leinwand fiel mir auf, dass keine einzige Malerin dabei war, also unterschrieb ich mit meinem eigenen Namen. Die Schreibarbeiten kommentieren die Debatte über die Sichtbarkeit feministischer Kunst.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich habe mich auf Empfehlung einer von mir sehr geschätzten Berliner Kuratorin beworben. Das Programm bietet außergewöhnliche Expertise und Ressourcen.
Interview: Beate Scheder Foto: Ralph Baiker
Interviewbeitrag: Delia Keller
Gestaltung: Gestaltung Berlin
16 Seiten, 23 Abbildungen
Evelina Reiter (* 1998) ist eine Berliner Künstlerin. Sie studierte Malerei an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. In ihren Werken beschäftigt sie sich mit der Sicherheit von FLINTA* im urbanen Raum. Sie dokumentiert ihre eigenen Erfahrungen in Berlin in Bildern auf Leinwand und organisiert feministische Projekte zur Unterstützung und Vernetzung anderer Künstlerinnen. 2023 hat sie an Academy Positions in Berlin-Tempelhof teilgenommen, 2024 war sie Finalistin des Kunstpreis Phoenix in München.
Wie bist du zur Malerei gekommen?
Gefühlt habe ich mein ganzes Leben lang gemalt. Ich hatte schon früh großes Interesse an dem Medium. Mit Öl zu malen, habe ich mir teilweise selbst beigebracht. Die historische Verbindung vor allem zu Berliner Maler*innen der 1920er-Jahre war für mich dabei sehr wichtig.
Viele deiner Bilder beziehen sich auf konkrete Orte in Berlin. Was interessiert dich an Berlin als Thema?
Es ist mir wichtig, lokal zu arbeiten, damit Menschen, die hier leben, die Sujets in meinen Bildern mit dem eigenen Alltag verbinden können. Der Zeitgeist in meinen Bildern ist eine direkte Kommunikation mit der Betrachter*in und ist für die zukünftige Kunstgeschichte wichtig. Mir geht es darum, Malerin meiner Generation sein.
Was für ein Berlin möchtest du zeigen?
Ich zeige ein Leben in Berlin aus der Perspektive einer jungen Frau. Diese Perspektive finde ich einzigartig. Meistens male ich sogenannte Angsträume von FLINTA, die ich durch meine Bilder zurückerobern möchte. Das können beispielsweise U-Bahn-Stationen oder Unterführungen sein, bei denen es unangenehm ist, sie alleine zu durchqueren – Orte, die ich mit einer konkreten Erinnerung oder Erfahrung verbinde.
Welche Rolle spielt Humor in deiner Kunst?
Humor und Selbstironie benutze ich, um Stärke zu vermitteln. Ich versuche Lösungen durch meine Bilder vorzuschlagen, um mir und anderen weiblich gelesenen Personen dabei zu helfen, Ängste zu überwinden.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Bei Goldrausch geht es um all das, was ich an der Universität nicht gelernt habe, aber brauche, um mich als Künstlerin weiterzuentwickeln.
Interview: Beate Scheder Foto: Mizi Lee
Textbeitrag: Leonie Rösler
Gestaltung: Luka Löhner
16 Seiten, 12 Abbildungen
Noor us Sabah Saeed (* 1988 in Karachi, Pakistan) hat ihren M. F. A. in Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien an der Bauhaus-Universität Weimar und ihren B. F. A. am Visual Studies Department, University of Karachi absolviert. Von 2021 bis 2022 war sie Stipendiatin am Schloss Balmoral. 2022 nahm sie auch an der Research Academy zum Thema „Performative Interventions“ der Zürcher Hochschule der Künste teil. Im Jahr 2019 erhielt sie für ein Projekt das Forschungsstipendium der Lahore Biennale Foundation und das Reisestipendium des Instituts für Auslandsbeziehungen.
Welche Themen interessieren dich?
In meinem letzten größeren Projekt habe ich mich mit Mobilität beschäftigt. Es ging um den Klimawandel, die Auswirkungen des Fliegens auf die Umwelt und die Rolle, die Nationalitäten dabei spielen. Ich komme aus Pakistan und habe immer Probleme, Visa zu bekommen, so auch bei meiner künstlerischen Residenz im Schloss Balmoral in Bad Ems. Im Jahresthema ging es dort um die Kunst des Reisens. Meine Idee war es, sich diesem über meine persönlichen Erfahrungen und über historische Gründe für Migration zu nähern.
Wie hast du das umgesetzt?
In Balmoral hatte ich ein Studio. Dieses Privileg wollte ich nutzen und habe große Zeichnungen meiner Umgebung angefertigt. Außerdem habe ich Gedanken von Aktivist*innen und Künstler*innen zu den genannten Themen gesammelt und sie für ein Gespräch angefragt. Unter anderem war die Künstlerin Mila Panic dabei, die das Programm Fully Funded Residencies gegründet hat, das Künstler*innen des Globalen Südens Zugang zu Residenzen ermöglicht.
Was hast du dir davon versprochen?
Es war wichtig für mich, diesen Dialog zu beginnen, um das Problem der Mobilität besser zu verstehen und mir meiner Position bewusst zu werden. In den letzten Jahren habe ich bemerkt, dass die Darstellung des Klimawandels in Europa sehr weiß und europäisch ist. Menschen, die keine ähnliche Lebensrealität haben, können sich nicht mit dieser vorherrschenden Erzählung identifizieren, ihre Stimmen werden unterdrückt. Durch meine Arbeit habe ich versucht, sie zu stärken und Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenzubringen.
Wie reagiert das Publikum auf solche Formate?
Die Menschen haben viele Fragen und sind sehr neugierig. Das war auch bei früheren Projekten so, in denen es etwa um den Tod von Osama Bin Laden ging.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich bin 2022 nach Berlin gezogen. Meine Arbeit ist generell stark mit dem Ort verbunden, an dem ich lebe, und spiegelt meine persönlichen, politischen und sozialen Erfahrungen wider. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, mich vor Ort zu vernetzen.
Interview: Beate Scheder Foto: Helmut Reinelt
Textbeitrag: Hajra Haider Karrar
Gestaltung: Natsumi Sugiyama
16 Seiten, 18 Abbildungen
Textbeitrag: Meghna Singh
Gestaltung: Lena Hegger
16 Seiten, 11 Abbildungen
Dior Thiam (* 1993 in Köln) ist eine multidisziplinäre Künstlerin. Von 2015 bis 2024 studierte sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und an der Universität der Künste Berlin. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen vertreten, unter anderem auf der 14. Biennale de Dakar, bei Savvy Contemporary in Berlin, in der Goodman Gallery in Johannesburg und im African Diaspora Art Museum of Atlanta. In den letzten Jahren hat sie mit Projekten und Institutionen wie Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt, dem Haus der Kulturen der Welt, Berlin The Watch und Archive Sites zusammengearbeitet.
Womit beschäftigst du dich gerade?
Ich beschäftige mich zurzeit mit Strafgefangenenfotografien aus einem ehemaligen südafrikanischen Gefängnis. Gerade habe einige der Fotos aus einem Archiv in Kapstadt zugeschickt bekommen. Zum ersten Mal habe ich sie in dem Buch „Listening to Images“ von Tina M. Campt gesehen. Ich beschäftige mich schon länger mit kolonialer Fotografie. Über diesen Weg bin ich zur Kriminalfotografie gelangt, die historisch parallel dazu entwickelt wurde. Ich benutze die Fotos als Vorlagen für malerische Arbeiten.
Was interessiert dich an den Fotos?
Beim Weiterverarbeiten ethnografischer Fotos habe ich mich vor allem für die Repräsentation von Frauen interessiert. In der Kriminalfotografie sind jedoch fast nur Männer zu sehen, was an sich schon recht viel aussagt. Die Fotos sind von 1893. Neben der bekannten Profil- und Frontansicht – dem sogenannten mugshot – mussten die Gefangenen sich außerdem die Hände auf die Brust legen. Diese Geste hat etwas sehr Gewaltvolles, Entwaffnendes, andererseits etwas Intimes und Verletzliches. Dieses Paradox finde ich sehr spannend.
Wie arbeitest du damit?
Bisher haben mich vor allem Personen interessiert, in deren Blick oder Haltung sich eine Form von Widerstand oder Trotz zeigt und die sich dadurch dem Blick des Fotografen sowie der Fremdbezeichnung und -abbildung entziehen.
Welchen Unterschied macht es, wo du deine Arbeiten zeigst?
Das vorhandene Hintergrundwissen ist immer ein anderes. Wenn ich gewisse Arbeiten zum Beispiel im Senegal ausstelle, wo die Mehrheitsgesellschaft Schwarz ist oder dieselben Arbeiten in einem weißen deutschen Kontext zeige, ist die Reaktion und auch meine Rolle als Künstlerin natürlich eine andere.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Es gibt so vieles, was die Arbeit als Künstlerin betrifft, das man an der Kunst-Uni nicht lernt, wie man Portfolios zusammenstellt oder Bewerbungen schreibt etwa. Goldrausch bietet einen Raum, in dem man alles fragen kann, ohne dass es peinlich ist.
Interview: Beate Scheder Foto: Marco Okamoto Hopf
Textbeitrag im Dialog mit: Kasia Fudakowski
Gestaltung: Björn Giesecke & Janis Gildein
16 Seiten, 40 Abbildungen
Cora Wöllenstein (* in Lörrach) arbeitet mit Medien wie Malerei, Skulptur und Textil. Dabei erforscht sie die narrativen und politischen Assoziationen rund um das Thema Körper und Wesen. Ihre Arbeiten wurden in internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem auf der Bothnia Biennale in Vaasa in Finnland, im Städtischen Museum Braunschweig und in zahlreichen Projekträumen in Montreal, Berlin, München und anderen Städten. Sie schloss ihren B. F. A. an der Concordia University Montréal ab und erhielt 2018 ihren Meisterschülertitel von der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
Deine Bilder, Skulpturen und Installationen sind oft von fantastischen Wesen bevölkert. Wer begegnet einem da?
Ich erfinde Wesen aus eigenen Erfahrungen, Geschichten aus der Kindheit, Volkserzählungen oder Märchen. Momentan zum Beispiel arbeite ich an einer Vogelscheuche, um die herum ich eine Welt baue.
Warum gerade eine Vogelscheuche?
Thematisch geht es mir eigentlich um Erschöpfung und das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben. Die Vogelscheuche passt dazu, weil sie gewissermaßen einer Mutterfigur ähnelt: Sie steht auf dem Feld, bei gutem wie bei schlechtem Wetter, und sorgt dafür, dass dort alles gut wachsen und gedeihen kann.
Wie entwickelst du deine Figuren?
Es beginnt meist mit einer Affinität zu einem Stoff, einem Objekt oder einer Figur in einer Geschichte. Dieses Mal war es Jeansstoff, den ich auf der Straße gefunden habe und mit dem ich arbeiten wollte. Ich habe ihn zu einem Kostüm zusammengenäht, das mich dann an eine Vogelscheuche erinnert hat. Das war der Moment, in dem ich in die Recherche eingestiegen bin. Ich arbeite gerne mit Textilien, weil diese uns so nah sind. Wir verdecken uns täglich damit. Viele meiner Skulpturen kann man anziehen und so in eine andere Rolle schlüpfen.
Stickereien sind oft Elemente deiner Arbeiten, wie kamst du dazu?
Das entstand sehr organisch aus der Malerei heraus. Durch das Sticken kann ich „Farbe“ auf Stoff auftragen. Als Technik ist Sticken sehr aufwändig und erfordert viel Zeit. Für mich ist diese Form von Arbeit ein guter Moment, um nachzudenken, über die Arbeit sowie den weiteren Prozess. Die Vogelscheuche wird auch bestickt.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich wollte lernen, wie ich mich und meine Kunst besser präsentiere und in der Kunstwelt positioniere. Über Goldrausch erhoffte ich, Anhaltspunkte dafür zu bekommen. Das Schönste an dem Programm ist aber, mit den anderen Künstlerinnen in Kontakt zu treten und neue Freundschaften und Arbeitsbeziehungen zu knüpfen.
Interview: Beate Scheder Foto: Peter Lorenz
Textbeitrag: Elena Voronovich
Gestaltung Dima Verovkin
16 Seiten, 22 Abbildungen
Sofiia Yesakova (* 1998) studierte an der National Academy of Fine Arts and Architecture in Kiew wo sie 2021 als Meisterschülerin abschloss. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt, unter anderem bei HAUNT/Frontviews in Berlin, in der Fabbrica del Vapore in Mailand, in der Galerie The Address in Brescia, bei AS/EM space in Leipzig und in der antwerp art box in Antwerpen. Sie ist Teil des Vereins frontviews e.V. und lebt und arbeitet aktuell in Berlin. Als alternative Form der künstlerischen Erzählung wählt Yesakova eine „leblose Sprache“ – eine Art von Diagramm oder eine ingenieurmäßige, schematische Art der Zeichnung. Ihre Hauptmaterialien sind Gesso, Holz und viele Schichten Gelatine. Sie realisiert auch Mixed-Media-Installationen, die mit dem Raum interagieren.
Die Rolle von Informationen in unserer Zeit ist ein wichtiges Thema deiner Kunst. Warum?
Mich interessiert, wie Informationen in sozialen Medien vermittelt werden. Man könnte meinen, dass wir heute alles wissen, aber das stimmt nicht. Es ist notwendig, Informationen kritisch zu betrachten, und schwierig, herauszufinden, was der Wahrheit entspricht. Durch den Krieg in der Ukraine hat das Thema für mich noch an Brisanz gewonnen.
Wie wird Kunst daraus?
Ich mache konzeptuelle Kunst und ziehe für meine Analysen viel Literatur hinzu, in der Gewalt und Krieg besprochen werden. Interessant für mich sind dabei auch Parallelen zwischen dem Militär- und dem Religionssystem. Im Militär wird oft vom „heiligen Krieg“ gesprochen und davon, dass nach dem Tod ein besseres Leben käme. Das ähnelt sehr der Religion. Ich versuche in meiner Kunst sehr strukturiert, in einer emotionslosen Sprache über Gewalt und Krieg zu sprechen. Nur so kann man verstehen, was passiert.
Welche Materialien verwendest du?
Oft benutze ich Holz, das ich wie für die Ikonenmalerei vorbereite. Es gibt aber keine Körperlichkeit, keine Ikone. Außerdem beschäftige ich mich zeichnerisch mit Entwürfen von Konzentrationslagern. Wenn man meine Arbeiten sieht und nicht weiß, worum es geht, könnte man sie für Minimal Art halten. Wenn man die Hintergründe kennt, ändert sich die Wahrnehmung.
Wie hat der Krieg in der Ukraine deine Kunst verändert?
Mit Gewalt und Religion habe ich mich schon vorher beschäftigt. Nach Ausbruch des Krieges konnte ich zuerst gar nicht über Kunst nachdenken. Dann habe ich nach Wegen gesucht, über den Krieg zu sprechen und mich entschieden, diese sehr rationale Sprache zu benutzen. In meiner Kunst geht es nicht nur um den Krieg in der Ukraine, vielmehr versuche ich, die Mechanismen von Kriegen und Gewalt an sich zu thematisieren.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich würde gerne besser verstehen, inwiefern sich die Kunstszene hier in Deutschland von der in der Ukraine unterscheidet und wie ich aktiv an ihr teilhaben kann.
Interview: Beate Scheder Foto: Sofiia Yesakova
256 Seiten ISBN 978-3-941318-80-9