Hydra – Goldrausch 2019
Haus am Kleistpark | Berlin
Eröffnung
Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr
Haus am Kleistpark | Berlin
Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr
Marie-Louise Andersson (geb. 1980 in Thurø, Dänemark) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Textildesign an der Design School Kolding in Dänemark sowie Freie Kunst an der Iceland University of the Arts in Reykjavik und der Konstfack in Stockholm. Sie arbeitet als Solo-Künstlerin und als Teil des Performance-Duos Barbara & Marie-Louise.
Ihre Performances waren unter anderem auf dem Badesøen Festival (Albertslund, DK), im Inter Arts Center als Teil der Make Sound Residency in Kollaboration mit der Danish Composers Society (Malmö, SE), bei der Transmediale, im Haus der Kulturen der Welt (Berlin) und beim Tectonics Festival in den BBC City Halls (Glasgow, GB) zu sehen. Ihre Künstlerinnenpublikation Foamlab ist bei Printed Matter, Inc. (NYC) erhältlich. In der National Gallery of Denmark ist sie als Teil der Goodiepals Collection mit Skulpturen vertreten.
Was interessiert dich an Performance?
Ich bin daran interessiert, körperliche und sensorische Erfahrungen mit Materialien zu machen und Klang als Taktilität anzuwenden. Zudem erzeuge ich in meinen Arbeiten eine Beziehung zwischen Zeit, Raum und Körper als schwer fassbares Erlebnis. Als ich noch studiert habe, habe ich Skulpturen und Installationen gemacht, die sich bewegt haben oder auf eine Art lebendig waren. Skulpturen mache ich weiterhin. Meine Performances können als lebende Skulpturen interpretiert werden.
Wie entwickelst du deine Performances?
Ich schreibe, lese und verwende Fragmente meiner Schriften als Skizzenmaterial, das ich später oft als Titel nutze. Ich höre auf Materialien, lerne aus Materialien und gestalte die Materialien durch lange und zeitraubende Prozesse. Auch nehme ich stark Bezug zu Räumen und ihren Kontexten. Ich möchte poetische Räume kreieren.
Kannst du dafür ein Beispiel geben?
Ich beschäftige mich oft mit den Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Spezies. In Barcelona habe ich 2014 die Performance „Piñadillo“ in einem Park gemacht, in dem sich viele eingewanderte Papageien befinden. Ich habe vor einem Baum performt, auf dem sie sich versammelt haben. Dabei hatte ich ein Kostüm an, das wie eine überdimensionale Ananas aussah. Ich möchte zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Spezies damit eine Art von alternativer Realität schaffen.
Wie stellst du deine Kostüme her und woraus?
Materialien spielen eine große Rolle für mich. Viele meiner Ideen entstehen, wenn ich das Material in den Händen halte und Tests machen. Für das Ananas-Kostüm habe ich 100 Teile geformt, erst aus Ton, dann aus Silikon, dann aus Glasfaser und Latex.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Goldrausch erlaubt mir einen kontinuierlichen Austausch mit anderen Künstlerinnen – durch Diskussion und Reflexion rund um Themen zur künstlerischen Praxis, die meistens in der Kunsthochschule nicht thematisiert werden.
Interview: Beate Scheder Foto: Johanna Naukkarinen
Melo Boerner geb. in Lichtenstein, Sachsen) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Wilhelm Mundt und absolvierte 2018 ihren MA in Sculpture am Royal College of Art in London.
Melo Boerners Arbeiten waren unter anderem zu sehen in: Too Much Information, Seventeen, London, 2018; dgtl fmnsm festival, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Dresden, 2018 und 2017; What Can Be Done to Make Trouble?, Kunstverein Familie Montez, Frankfurt am Main, 2017; Borders Borders, Edinburgh College of Art, 2016; Error Island, Art-Kvartira Art Center, Dnipro (Ukraine), 2016. Sie performt als DJ SHE’OL, spielt in der Band Short & Pregnant und ist Gründungsmitglied des Off Spaces Golfplatz in Dresden.
Welche Themen interessieren dich?
Ganz weit gefasst interessieren mich Körper in Orten, nicht nur menschliche, sondern auch skulpturale Körper. Mich interessiert, wie sie sich zueinander verhalten, welche Regeln wirken, aber auch wie aus Normregelungen ausgebrochen werden kann. Letzteres hat auch mit meiner Queerness zu tun. Zu all dem sammle ich Bilder und Formen und Weggeworfenes.
Wo sammelst du und was sammelst du konkret?
Überall, auch auf der Straße. Momentan sind es bunte, transparente Feuerzeuge und kleine Schnapsflaschen sowie allerlei kleine Sachen, die Leute zurücklassen. Für mich sind es kleine Schätze, Talismane, die man sich in die Tasche steckt – Dinge, die eine Wichtigkeit haben, diese als Müll jedoch verlieren.
Du arbeitest viel mit Textil und soften Materialien. Warum?
Einerseits mache ich das, weil ich mich sehr stark für Mode interessiere und in meiner Modeschneider*innenausbildung viel über Stoffe und Körper gelernt habe. Andererseits liegt es auch daran, dass in der Theorie soften Materialien eine Weiblichkeit zugeschrieben wird und den festen eine Männlichkeit. Damit spiele ich, indem ich etwa auf weiche Materialien Zeichnungen setze, die zuerst als etwas anderes wahrgenommen werden können.
Woher kommt deine Vorliebe für die DIY-Ästhetik, die deine Arbeiten prägt?
DIY, also Do It Yourself, ist eine Art zu arbeiten, bei der ich mir selbst die Dinge aneigne, ohne dabei unbedingt vorgegebenen Regeln zu folgen. Gleichzeitig werden im DIY eben auch aussortierte Materialien benutzt. Für mich hat das viel mit Punk zu tun. Mich interessieren auch solche Orte sehr, DIY-Orte, Punk Spaces. Einerseits ist das eine persönliche Sache, weil ich da als Teenager viel Zeit verbracht habe. Andererseits ist es auch deren Idee, sich als politische Orte in der Gesellschaft durchzumogeln.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich bin gerade mit meinem Master in London fertig geworden und habe das als perfekten Anschluss gesehen, um in Berlin anzukommen und zu starten.
Interview: Beate Scheder Foto: Nadja Kurz
Marlene Denningmann studiert und verarbeitet seit 2002 das Medium Film. 2014 schloss sie ihr Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg mit einem Diplom in Zeitbezogene Medien/Film bei Prof. Jeanne Faust und Prof. Robert Bramkamp ab. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin.
Wieso Film?
Ich habe an der Kunsthochschule damit experimentiert, wie viele Möglichkeiten das Medium hat, je nachdem, ob man es im Ausstellungskontext zeigt oder im Kino. Dieses Spannungsfeld finde ich sehr interessant.
Wovon handeln deine Filme?
Es geht sehr viel um soziale Konventionen und wie diese im Medium Film oder in der Populärkultur Blaupausen für das Leben im Privaten sein können. Einerseits können sie Sehnsüchte schüren, aber andererseits auch Einschränkung bedeuten: Geschlechterrollen, der kulturelle Umgang mit dem ‚Fremden‘, die Frage, wie wir uns als Gemeinschaft oder als Individuen definieren, was unsere Ziele im Leben sind oder was wir denken, was sie sein sollen.
Wie findest du die Texte, die du darin zitierst?
Eine Zeit lang habe ich sehr viel Zeit im Internet verbracht und wenn mich Irgendetwas beschäftigt hat, recherchiert, wie andere Menschen darüber denken. Es gibt zu jedem Thema irgendeine Unterhaltung im Internet – in Internetforen oder auf Frage-Antwort-Seiten. Der Rest kommt aus Recherchen, die ein bisschen akademischer sind. Im Moment recherchiere ich für meinen nächsten Film zur Sexualität der Pflanzen. Da geht es u.a. um einen Botaniker und vielleicht muss ich Goethe zitieren.
Welche Rolle spielt Humor in deinen Arbeiten?
Mich interessieren generell Verfremdungseffekte. Vertrautes zu reproduzieren, aber ein bisschen auf den Kopf zu stellen. Humor kann auch ein Verfremdungseffekt sein. Lachen löst Widerstände auf und kann Menschen dazu bringen, sich mit Dingen zu beschäftigen, von denen sie vielleicht dachten, dass sie gar nicht in ihr Weltbild passen.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Goldrausch wird oft als „Girls-Club“ kritisiert, aber das finde ich nicht schlimm. Es ist auch mal ganz schön, unter seinesgleichen sein zu dürfen. In Zeiten der Männerquote – auch wenn die wichtig ist – hat man das nicht mehr so oft. Viele Männer sind einfach nicht auf dem gleichen Level und Erfahrungsstand wie die Künstlerinnen dort und manchmal will man sich einfach nicht zurückhalten.
Interview: Beate Scheder Foto: Marlene Denningmann
Eva Dittrich (geb. 1986 in Waiblingen, Baden-Württemberg) lebt und arbeitet in Berlin. Nach einer Ausbildung zur Fotodesignerin (2007–11) und zwei DAAD-Stipendienaufenthalten in Prag (2015) und in Helsinki (2016) absolvierte sie 2018 ihr Diplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig in der Klasse für Fotografie und Medien. Sie war Teil des Kollektivs KASKL und der Galerie KASKL (2016–2018) in Berlin.
Eva Dittrichs Arbeiten waren u.a. in der Halle 14 – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Leipzig (2013), in der Galerie UM in Prag, in der Národní Galerie Praha (Veletržní palác) und zur Off-Biennale Budapest im Hungarian Culture Center in Prag/Budapest (2015), im Exhibition Laboratory und in der Tasku Gallery in Helsinki (2016), im L’Ospitale in Rubiera, Reggio Emilia (2016), in der Photographischen Sammlung SK Stiftung Kultur, Köln (2017–18), im Kunstverein Schorndorf (2018) und in der Galerie FO.KU.S in Innsbruck (2018–2019) zu sehen.
Du kommst eigentlich von der Fotografie, arbeitest aber auch mit Objekten, Texten, Videos und Installationen. Warum?
In meinem künstlerischen Prozess ist mir eine verbindende Denk- und Arbeitsweise sehr wichtig – auch das Verbinden unterschiedlicher Medien oder das Ausloten ihrer Grenzbereiche. Die Fotografien suchten die Nähe zu anderen Medien und entwickelten sich im Raum als Objekte bzw. als Installationen.
Wann kommt in deinem künstlerischen Prozess die Fotografie ins Spiel?
Fotografie ist für mich ein Reflexionsmedium. Wie ich mich in der Fotografie bewege, hängt von der Konzeption der Installation ab. Oft erhält die Fotografie die Aufgabe der Kontextualisierung.
Wie gehst du für deine Installationen mit Räumen um?
Ich besuche sie recht früh, weil mir wichtig ist, wie und in welcher Reihenfolge die Einzelteile gesehen werden. Ist das nicht möglich, versuche ich mir diese Räume selbst zu bauen. Ich habe 2011 schon einmal begonnen, einen Raum in seiner Umrisskante in mobiler Form nachzubauen. Daran knüpfe ich gerade an. So entgehe ich einerseits der Abhängigkeit von einer bestimmten Situation, andererseits bieten mir dieses Nomadentum und Begrifflichkeiten wie Herkunft und Identität eine wichtige Auseinandersetzung. Aus meiner Biografie heraus, aber auch, weil ich diese Begriffe und deren Diskurs keinesfalls einer rechtsgerichteten Gesellschaftsdynamik überlassen möchte.
Inwiefern ist deine Kunst von deiner Biografie geprägt?
Man muss eine Balance finden zwischen biografischen Bezugspunkten und dem nötigen Abstand von einem totalen Erklären der Kunst durch eine Biografie. Es muss eine Emanzipation in der künstlerischen Abstraktion geben.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Für mich kommt es genau zum richtigen Zeitpunkt, weil ich nach dem Ende meines Studiums wieder in einer Stadt neu angefangen habe. Für die Infrastruktur und entgegen der Vereinzelung als freischaffende Künstlerin erschien mir das Projekt sehr sinnvoll.
Interview: Beate Scheder Foto: Eva Dittrich
Textbeitrag: Kristian Vistrup Madsen
Gestaltung: Studio Jacob Grønbech Jensen
16 Seiten, 12 Abbildungen
Eva Funk (geb. 1988 in Villach, Österreich) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Time Based Media an der Royal Danish Academy of Fine Arts in Kopenhagen und „objekt-bild-hauerei“ an der Universität der Künste Berlin. Nach ihrem Abschluss als Meisterschülerin 2016 bei Manfred Pernice folgten Arbeitsaufenthalte in Oslo, in Bielefeld und in Sointula (Kanada). Eva Funk zeigt und performt international ihre Arbeiten auf Festivals und in Gruppen- und Einzelausstellungen, u.a. im Kunstverein Kärnten in Klagenfurt, bei der Transart Triennale in Berlin, in der Galerie der Stadt Villach und im Saint-Valentin Espace d’Arts in Lausanne. Sie ist Gründerin von rotato press und Herausgeberin von Künstler*innen-Büchern. Zudem spielt sie das Schüttelei und Keyboard in der Band BIG HIT. Auf Anfrage erstellt sie Horoskope anhand von Popcorn.
Woran arbeitest du momentan?
Gemeinsam mit einem Kollektiv arbeite ich gerade an einem Buch. Da gibt es vieles, was wir besprechen müssen, weil viele Leute beteiligt sind. Das Thema des Buches ist „Publishing As A Site Of Collectivization“. Wir arbeiten seit einer Residency in Oslo in 2017 zusammen.
Die Arbeit im Kollektiv ist ein wichtiger Teil deiner Kunst. Warum?
Ich habe eine ziemlich weit gefächerte künstlerische Praxis. Am kollektiven Arbeiten interessiert mich sehr, Dinge gemeinsam zu denken, auszuarbeiten und im Gespräch zu sein. Neben diesem Kollektiv gibt es noch weitere, mit denen ich arbeite.
Womit beschäftigst du dich in deiner Kunst noch?
Generell beschäftige ich mich mit Beziehungen und Positionen von Objekt, Sprache und Handlungsweisen. Dabei entstehen viele verschiedene Praktiken, die gleichzeitig laufen. Am Performativen interessiert mich derzeit das Vorlesen von meinen Texten, an Objekten, dass man mit einfachen Strategien schnell Räume füllen kann. Das mache ich, indem ich Material verwende, das leicht ist und einen nomadischen Charakter hat. Zum Beispiel benutze ich Zeltstangen, mit denen ich Szenerien entwerfe – und diese ebenso selbstständig abbauen, neu aufbauen und zusammenstellen kann.
Wie kommen diese ganzen Elemente zusammen?
Vor 2014 habe ich einen Motivkatalog von 31 Figuren und Motiven wie „The Spoon“ oder „The Left Hand“ mit Beschreibungen angelegt. Diese einzelnen Motive tauchen immer wieder auf und zwar nicht nur in den Objekten, sondern auch im Schreiben und im gemeinsamen Arbeiten und Handeln. Mit der Zeit entsteht dadurch eine Karte von Verbindungen. Die einzelnen Teile stehen für sich, aber können auch durch das große Ganze in neue Kontexte gebracht werden.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Auch hier ist es ein Gruppengedanke, der mich interessiert. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als ein Jahr mit tollen Künstlerinnen zusammenzuarbeiten und sich kennenzulernen, sich gegenseitig zu motivieren und zu unterstützen.
Interview: Beate Scheder Foto: Stefanie Kulisch
Martine Heuser (geb. 1990 in Kopenhagen, Dänemark) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Bildhauerei an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und im Studio of Spatial Activities in den Fakultäten Media Art und Sculpture an der Akademia Sztuk Pięknych in Warschau. Mithilfe der Auseinandersetzung mit Poesie, Klang, Körper und Materie untersucht und erzählt sie die fortlaufende Geschichte vom Tod der Skulptur und ihrem Potenzial.
2015–16 co-kuratierte sie die Mama´s Gaga Miki Show im Golden Pudel Club, Hamburg. 2017 erhielt sie das Leistungsstipendium für ausländische Studierende vom DAAD und der Karl H. Ditze Stiftung sowie mehrere Auszeichnungen in Dänemark, u.a. aus dem Knud Højgaards Fond und dem Oticon Fonden. Sie kollaboriert gelegentlich, z.B. mit der polnischen Jazzband Pokusa. Sie nahm u.a. an den Ausstellungen InsideUp (Berlin, 2019), Dolers (Stedelijke Musea Dendermonde (BE), 2018), L’Amour Toujours (Golden Pudel Club, Hamburg, 2016), THERE (Studio of Spatial Activities, Warschau, 2016) und EXPO 01 (Warschau, 2016) teil.
Du arbeitest gerade an der Ausgrabung einer Nekropolis. Was hat es damit auf sich?
Es geht mir nicht unbedingt um eine physische Ausgrabung. Nördlich von Vilnius habe ich eine Grube gegraben wie für einen Glockenguss, nun bin ich aber gedanklich bei einer Art immateriellen, ephemeren Skulptur gelandet. Hinter meiner Behauptung einer Ausgrabung steht auch der Gedanke, dass ich nichts Neues erfinden, aber in der Geschichte herumwirbeln kann, sodass sich entfaltet, was schon verborgen ist. Die Ausgrabung wird vermutlich aus einigen konkreten Monumenten bestehen, z.B. möchte ich ein Kenotaph bauen, aber es könnten auch Audiomonumente dabei sein, scheinbar immaterielle Monumente.
Was interessiert dich an den Themen Tod und Sterblichkeit?
Eigentlich komme ich von der Performance. In Deutschland kam ich aber in eine Bildhauereiklasse und begann mir Fragen zu stellen: Was suchen wir? Was ist Materie? Was will die Kunst von uns angesichts der Tatsache, dass wir sterben müssen? Vielleicht ist es auch einfach die Frage, wie der Mensch vergeht oder was vergeht, auch in Bezug auf die Skulptur.
Wie kommt bei deinen Skulpturen Sound ins Spiel?
Mit der Glocke, die ich gegossen habe, kann ich natürlich läuten. Das neueste Audiomonument ist mit Field Recordings von dieser Glocke gemacht, die mit einem selbstgebauten digitalen Synthesizer bearbeitet wurde. So ist eine weitere Glocke erzeugt worden.
Du arbeitest immer selbst mit deinen Händen, warum ist dir das wichtig?
Ich kann auf diese Weise viel nachdenken. Es muss auch eine Handlung geben, sonst kommt der Wahn einem zu nah. Skulptur ist ein dreidimensionales Objekt, dem man gegenübersteht, und deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dem Material physisch zu begegnen. Das Material muss durch meine Hände gehen, Hände sind ja die Fingerabdrücke, die irgendwie von der Zeit zeugen.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Um Menschen zu begegnen und Werkzeuge zu erlernen, die mir helfen, Mut zu fassen, weiterzugehen und weiter zu fragen.
Interview: Beate Scheder Foto: Martine Heuser
Textbeitrag: Tonia Andresen (DE), Laura Dee Milnes (EN)
Gestaltung: Jessica Mester
16 Seiten, 11 Abbildungen
Ana Hupe (geb. 1983 in Rio de Janeiro, Brasilien) promovierte in Bildender Kunst an der Rio de Janeiro Federal University’s School of Fine Arts (PPGAV-UFRJ), 2016) mit einem Austauschjahr an der Universität der Künste Berlin. Sie arbeitet mit Print, Fotografie, Video und Installation. 2019 ist sie für den Marcantonio Vilaça Award nominiert. Außerdem wird sie eine Forschungsreise nach Nigeria (IFA/Künstlerkontakte 2019) unternehmen, die das dritte Kapitel der 2018 initiierten Trilogie Pororocas (Salvador – Havanna – Osogbo) bilden wird. Deren erstes Kapitel wurde mit dem Foco-Preis der ArtRio ausgezeichnet.
Ihre jüngsten Einzelausstellungen waren A lot of future for one single memory (Joaquim Nabuco Foundation, Recife, Brasilien, 2017), Malungas (Gallery Mario Kreuzberg, Berlin und Paço das Artes, Season of Projects, Sao Paulo, Brasilien, 2017) und Readings to Move the Center (CCBB Award for Contemporary Art 2016), Centro Cultural Banco do Brasil. Rio de Janeiro, 2016. Ihre Werke befinden sich in den Sammlungen von Gilberto Chateaubriand (Museum of Modern Art (MAM), Rio de Janeiro), des Rio Art Museums (MAR) in Rio de Janeiro), des Iphan-Instituts, Rio de Janeiro und in privaten Sammlungen.
Mit deiner Kunst willst du ein Gegengedächtnis zum kolonialen Archiv schaffen. Was meinst du damit?
Das Wort Dekolonialisierung wird oft benutzt, aber jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was es bedeutet. Mir geht es darum, durch das Erzählen von Geschichten von Frauen, die vom öffentlichen Reden ausgeschlossen sind, Licht in die Nebel der Geschichte zu werfen.
Hast du dafür ein Beispiel?
2017 habe ich für meine Ausstellung „Malungas“, die gleichzeitig in Berlin und São Paulo stattfand, lateinamerikanische Frauen in Berlin und afrikanische Frauen in São Paulo gesucht, um Gemeinsamkeiten zwischen unseren Migrationserfahrungen zu finden. Die Frauen habe ich mit einer Lomokamera mit vier Linsen porträtiert. Ähnliche Kameras haben schon deutsche Fotografen im 19. Jahrhundert benutzt, um die Elite Brasiliens zu fotografieren. Dazu haben die Frauen zwei Texte aus dem 19. Jahrhundert vorgelesen, in denen es um die Rolle der Frau geht. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe und auch die Geschichten der Frauen waren aufgrund der sozioökonomischen Unterschiede ihrer Ankunftsländer ganz anders. Das war sehr interessant.
Welche Rolle spielt Recherche bei dir?
Eine sehr große. 2016 habe ich z.B. bei einer Residenz in Südafrika ein Kollektiv kennengelernt, das ein Magazin namens „Chimurenga“ herausgibt. Darin habe ich zum ersten Mal eine Kurzgeschichte von der brasilianischen Schriftstellerin Conceição Evaristo gelesen. Ich fand es sehr interessant, dass ich erst auf Englisch und in Südafrika auf ihre Texte gestoßen bin. Daraufhin habe ich sie als Gast in meine Ausstellung „Readings to Move the Center“ eingeladen, welche als eine große, experimentelle Bibliothek mit Lesezirkel konzipiert war.
Wie entsteht aus deinen Recherchen eine Form?
Texte sind immer mein Ausgangspunkt. Dann entscheide ich mich, welches Format oder Medium zum Inhalt passt.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich bin seit fast fünf Jahren in Berlin, finde es aber immer noch schwer zu durchschauen, wie die Kunstszene hier funktioniert.
Interview: Beate Scheder Foto: Jose Marcal
Mareike Jacobi (geb. in Georgsmarienhütte, Niedersachsen) studierte Philosophie an der Freien Universität Berlin und Textil- und Flächendesign an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. 2016 schloss sie dort ihr Studium als Meisterschülerin von Barbara Schmidt ab. Seitdem verschob sich ihr Arbeitsschwerpunkt zunehmend auf die Zeichnung. Von 2016 bis 2018 war sie Co-Leiterin des Projektraums Studio NIKIBI in Berlin-Neukölln. Ihre Arbeiten waren u.a. im SaRang Building in Yogyakarta, Indonesien (2017), bei Berlin Weekly (2018) und im Meinblau Berlin (2019) zu sehen.
Was reizt dich an der Zeichnung als Medium?
Die Unmittelbarkeit. In der Zeichnung kann man sehr einfach mit einem Stift anfangen und eine Spur hinterlassen. Außerdem mag ich die Genauigkeit von einem Stift.
Du zeichnest sehr bestimmte Dinge, Muster und Ordnungen. Wie bist du darauf gekommen?
Das hat sich entwickelt. Als ich noch Textildesign studiert habe, sollten wir uns ein Muster überlegen. Ich habe mich damals mit Algorithmen beschäftigt und mit der Frage, wie man einen Rhythmus in einer Fläche kreieren kann. Irgendwann bin ich davon weg und im Analogen mit Würfeln angekommen. Ich wollte ein Muster schaffen, das noch eine Ordnung und Regelmäßigkeit hat, aber auch einen freieren Rhythmus in der Fläche entstehen lässt. Meine gegenwärtigen Zeichnungen sind alle aus derselben Methode entwickelt worden, bei der ich auf einem quadratischen Raster nach einer Regel mit einem Würfel Punkte definiere und diese miteinander verbinde.
Was ist das für eine Regel?
Es gibt in jedem Quadrat des Rasters jeweils drei mögliche Positionen für eine horizontale und eine vertikale Linie. Die Linien werden ausgewürfelt und bilden dann wiederum Kreuze. Diese Kreuze sind der Ausgangspunkt für die weiteren Zeichnungen.
Wieso beschränkst du dich absichtlich?
Dieser Rahmen bietet mir trotzdem die Freiheit, darüber nachzudenken, wie ich eine Zeichnung entwickle. Während ich an einer Zeichnung arbeite, sehe ich schon wieder Möglichkeiten für die nächste Zeichnung. Das hört nie auf. Das ist das, was ich an dieser Beschränkung so gut finde: dass eine Fruchtbarkeit darin steckt.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich habe einen Designhintergrund und die Arbeiten, die ich mache, könnten in beiden Kontexten stehen. Mir war es wichtig, mich als Künstlerin zu positionieren. Außerdem ist es ein guter Zeitpunkt für mich, in diesem sehr intensiven Jahr, noch einmal darüber zu reflektieren, was ich bisher gemacht habe, wo ich stehe und wo ich hinwill.
Interview: Beate Scheder Foto: Mareike Jacobi
Textbeitrag: Anna Voswinckel
Gestaltung: Dana Lorenz
16 Seiten, 12 Abbildungen
Astrid Kajsa Nylander (geb. in Göteborg, Schweden) schloss 2018 ihren MFA in Zeichnung und Malerei bei Jutta Koether und Hanne Loreck an der HFBK Hamburg ab. Während ihres Studiums belegte sie 2016 ein Gastsemester am San Francisco Art Institute, wo sie u.a. bei Sampada Aranke studierte.
Seit 2014 ist sie Teil der feministischen Künstlerinnenplattform CALL und Redakteurin des CALL-zine. Ihre Arbeiten wurde u.a. 2018 im Museo Apparente, Neapel gezeigt. Ihre mit Mini-Job betitelten Gemälde sind Teil der Jahresgaben 2018/2019 des Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf. Ebenfalls 2018 wurde Café Miao presents: Tour de Miao anlässlich von Jutta Koethers Tour de Madame: Cold Chills in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. 2019 wurde ihr der Kunstpreis Junge Kunst der Sparkasse Siegen verliehen. Im September 2019 folgt eine Einzelausstellung im Kunstverein Siegen mit Katalogveröffentlichung.
Wie bist du zur Malerei gekommen?
Es war eine Frage der Autonomie. Früher habe ich eher bildhauerisch gearbeitet, mit Glas und Stahl. Als ich für ein halbes Jahr in die USA gegangen bin, habe ich überlegt, wie ich meine Arbeit weiterentwickeln kann, damit ich sie besser transportieren kann und nicht mehr von Werkstätten abhängig bin. Aber Malerei interessiert mich auch konzeptuell. In der westlichen Kunstgeschichte wird sie so behandelt, als würde es darum gehen, eine Wahrheit zu finden. Dies ist immer wieder gescheitert. Ich glaube nicht, dass es universelle Wahrheiten gibt – weder in der Malerei, noch im Bezug auf das menschliche Dasein.
Wie entwickelst du deine Sujets?
Ich habe überlegt, wie ich von der Erfahrung in einem Körper zu sein, erzählen kann. In der Geschichte der Malerei werden menschliche Erfahrungen oder Zustände traditionell anhand von nackten Frauenkörpern dargestellt oder als vertikale Porträts. Es ist eine Herausforderung, diese Erfahrung über solche Modelle hinaus zu beschreiben.
Ein Motiv, das in deiner Malerei häufig vorkommt, sind Knöpfe. Was hat es damit auf sich?
Ich mache meistens größere Arbeiten. Die Knöpfe als Mini-Jobs wirken dazu wie eine Gegenüberstellung. Sie sind als Trompe-l’Œils gemalt, sodass sie die Dimension, in der wir uns befinden, und die Materialität der Umgebung infrage stellen. Knöpfe sind Verknüpfungen. Das ist es, was Kunst für mich bedeutet: Verknüpfungen herzustellen zwischen Erfahrungen und Zuständen.
Sind diese Knöpfe auch ein Verweis auf das Textile, das im Gegensatz zur Ölmalerei klassischerweise weiblich konnotiert ist?
Malerei wird meistens auf Leinwand ausgeführt, dennoch wird sie von der textilen Welt getrennt betrachtet. Die Knöpfe lassen sich als Vorschlag verstehen, die Welten nicht voneinander getrennt zu betrachten.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich halte es für wichtig, sich als Künstlerin nicht als eine isolierte Instanz zu verstehen, sondern als Teil von etwas und als Gruppe darüber nachzudenken, was das bedeutet.
Interview: Beate Scheder Foto: Astrid Kajsa Nylander
Textbeitrag: Judith Sieber
Gestaltung: Tea Palmelund
16 Seiten, 10 Abbildungen
Marion Orfila (geb. 1984 in Toulouse, Frankreich) studierte an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris bei Richard Deacon und schloss 2008 ihr Diplom mit Anerkennung ab. 2009–2010 belegte sie ein Postgraduiertenprogramm des DAAD an der UdK Berlin bei Lothar Baumgarten. Orfila nahm u.a. an Residenzprogrammen in der Normandie (Usine Utopik, 2013), in Finnland (Metsätila, 2015) und in Quebec (Langage Plus, 2016) teil. Ihre zumeist ortsspezifischen Installationen, Filme und Videos wurden bereits in Deutschland, Frankreich, Finnland, Kanada und Spanien gezeigt, u.a. in Berlin in Projekträumen wie Autocenter (2009), TÄT (2012, Einzelausstellung), Bar Babette (2017) oder der Galerie House of Egorn (2018) und international in Institutionen wie zuletzt im CIAM La Fabrique in Toulouse (2019) sowie im öffentlichen Raum wie bei Piéce d’Été in Malbuisson (2017). 2015 war sie für den Preis Sciences Po pour l’art contemporain nominiert. 2018 erhielt sie das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds.
In deiner Kunst geht es oft um Räume. Was interessiert dich daran?
Mich interessiert, wie man sich in Räumen wahrnimmt. Wir können uns kaum verstehen ohne den Raum um uns herum. Wir existieren immer in einem Kontext. Ich spiele damit, diesen Kontext zu transformieren, beispielsweise mit vertikalen oder zerbrochenen Böden, damit wir uns selbst anders verstehen können.
Du beschäftigst dich insbesondere mit „delokalisierten Orten“. Was verstehst du darunter?
Im Begriff ‚Delokalisation‘ schwingt sehr viel Zerreißendes mit. Er beschreibt den Prozess, wenn ein Unternehmen seinen Standort verlagert. Im Englischen geht es auch um ein persönliches Empfinden. All das spielt hinein, hauptsächlich geht es mir aber um die Schaffung eines Ortes ohne Ort. Anfangs habe ich Bäume auf der Oberfläche eines Pools schweben lassen, später habe ich Böden zerbrochen, sodass sie ihre Verortung verloren haben.
Du arbeitest oft in situ. Wie näherst du dich unbekannten Orten an?
Ich gehe mit meinem Raumgefühl und frage mich, wie man sich darin einbringen kann. Dabei benutze ich Beobachtungen, die ich woanders gesammelt habe, und setze sie in Dialog mit dem Raum. Es sind Versuche, Orte zu schaffen, die sonst nicht existieren würden. Für mich wäre es eine verpasste Chance, wenn kein Dialog mit dem Kontext entstehen würde.
Was möchtest du bei deinem Publikum auslösen?
Ich habe das oft Schwindel genannt. In ortsspezifischen Videos habe ich das weiterentwickelt. Die Videos schaut man auf seinem Telefon oder einem tragbaren Bildschirm in dem Raum an, wo sie gedreht wurden. Dadurch wirkt es so, als ob man diese gerade erst filmen würde. Ich versuche beim Publikum das Gefühl hervorzurufen, sie könnten gleichzeitig örtlich oder zeitlich woanders sein.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich bin seit zehn Jahren in Berlin. In der Vergangenheit habe ich jedoch meistens in Frankreich und nicht so viel in Deutschland gearbeitet. Das würde ich gerne ändern.
Interview: Beate Scheder Foto: Joona Kivirinta
Textbeitrag: Hanne Loreck
Gestaltung: Paul Rutrecht
16 Seiten, 8 Abbildungen
Mila Panic (geb. in Bosnien und Herzegowina) lebt und arbeitet in Berlin. 2017 schloss sie ihren Master an der Bauhaus-Universität Weimar im Studiengang Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien ab. In ihren Arbeiten finden ihr biografischer Hintergrund sowie ihre persönlichen Erfahrungen Ausdruck – verflochten mit Themen wie ‚Migration‘, ‚Identität‘ und ‚Zugehörigkeit‘. Mila Panic transformiert in ihrer künstlerischen Praxis subjektive in universal nachempfindbare Narrative.
Ihre Arbeiten werden international ausgestellt, u.a. im Kunsthaus Dresden, auf der Moscow International Biennale for Young Art, im Künstlerhaus Wien und im Museum of Contemporary Art in Skopje (Mazedonien). Sie hat an verschiedenen Residenzprogrammen, Festivals, Lectures und Talks teilgenommen. Im vergangenen Jahr hat sie die Plattform Fully Funded Residencies gegründet, um einen schnelleren und einfacheren Überblick über Residenzprogramme, Mobilitätsfonds und Stipendien sowie Raum für Erfahrungsaustausch und kritische Reflexion zu bieten.
Woran arbeitest du gerade?
Ich arbeite an einem neuen Projekt, das sich mit Migration und den Narrativen, die diese umgeben, beschäftigt. Es ist eine Videoarbeit begleitet von Objekten, die verzehrt werden können.
Was interessiert dich an ‚Migration‘?
Es ist nicht nur ‚Migration‘ als solche, sondern ihr Bezug zu den Themen ‚Identität‘ oder ‚Heimat‘. Ich gehe dabei von persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen aus. Die Themen ‚Migration‘ und ‚Identität‘ wurden in meiner Kunst sichtbarer, nachdem ich nach Deutschland gezogen bin, aber schon in Bosnien habe ich mich damit beschäftigt. ‚Migration‘ hat die Geschichte Bosniens stark geprägt.
Wie stark ist deine Kunst von deiner Biografie beeinflusst?
Mir erschien es immer natürlich, in meiner Kunst bei mir, meiner Familie, den alltäglichen Anomalitäten der Gesellschaft zu beginnen, in der ich lebe. Ich ziehe alles aus persönlichen Erfahrungen. Ich gehe von einem subjektiven Narrativ aus, das ich jedoch in etwas anderes verwandle, mit dem sich auch andere verbinden können.
Welchen Unterschied macht es, ob du deine Kunst im ehemaligen Jugoslawien oder in Deutschland zeigst?
Meine Ideen werden von den Gesellschaften beeinflusst, in denen in ich lebe. Wenn ich meine Kunst präsentiere, ist es, als würde ich sie dort wieder hineinsetzen. Natürlich unterscheiden sich die Reaktionen, die meine Arbeiten hervorrufen, aber sie regen immer zum Denken an. Ich selbst verorte sie zwischen dem Kontext des ehemaligen Jugoslawiens, wo ich herkomme, und dem Ort, an dem ich mich aktuell befinde – Berlin. Beide sind stark mit Narrativen rund um Migration verbunden.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Als ich vor zwei Jahren nach Berlin kam, hatte ich eine Art Kulturschock. Ich wusste nicht mehr, was gut ist oder wie ich mich als Künstlerin positionieren sollte. Goldrausch ist eine gute Möglichkeit, um mich neu zu strukturieren und mir einen Überblick über die Kunstszene in Deutschland zu verschaffen.
Interview: Beate Scheder Foto: Mila Panic
Textbeitrag:Juliana Gontijo
Gestaltung: Clara Huber, FRENDZ.CLUB
16 Seiten, 11 Abbildungen
Fiene Scharp (geb. 1984 in Berlin) studierte Bildende Kunst und Literatur an der Universität der Künste und der Humboldt-Universität in Berlin und erhielt 2012 den Meisterschülerpreis des Präsidenten der Universität der Künste.
Sie nahm an zahlreichen Ausstellungen in Europa, Nordamerika und Asien teil – unter anderem in der Kunsthalle Bremerhaven (2010), im Stedelijk Museum ’s-Hertogenbosch (2011), im Kunstmuseum Stuttgart und Centre for Recent Drawing in London (2012) und im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt (2017). Ihre Arbeiten sind in öffentlichen Sammlungen wie im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin oder dem Kunstmuseum Stuttgart vertreten. Fiene Scharp erhielt mehrere Preise und Stipendien, unter anderem war sie Stipendiatin des Else-Heiliger-Fonds (Konrad-Adenauer-Stiftung). Sie wird von der Galerie Kuckei + Kuckei in Berlin vertreten.
Du beschäftigst dich in Zeichnungen, Installationen und Objekten mit Rastern. Was steckt dahinter?
Raster begreift man logisch als Aneinanderreihung von immer wiederkehrenden einzelnen Elementen. Was mich daran interessiert, sind die minimalen Differenzen, die Fehlstellen, die Ungleichmäßigkeiten, die hineingeraten. Sie entstehen entweder aufgrund des manuellen Prozesses oder durch die Eigenheiten der Materialien. So wird der Fokus auf das genaue Sehen, die Feinheiten und Details gelenkt.
Mit welchen Materialien arbeitest du?
Zum einen arbeite ich mit Papier. Ich schneide mit dem Skalpell in die Papieroberfläche und fertige filigrane Papercuts an. Teilweise nutze ich internationale, antiquarische Rasterpapiere aus dem technisch-mathematischen Bereich, bei denen ich die Zwischenräume zwischen den Lineaturen freilege und nur die Koordinatenlinien stehen lasse. Außerdem arbeite ich mit Graphit. Nicht im Sinne klassischer Zeichenlinie auf Papier – ich arbeite mit dem Werkstoff an sich. Dabei interessiert mich die Materialität, der metallene Glanz, die Reflektion und Tiefe, die von dem Material ausgeht, aber auch die Brüchigkeit, die Porosität.
Woran arbeitest du gerade?
Zurzeit habe ich Schnittmusterpapiere aus den 1930er Jahren entdeckt. Ich finde deren unglaubliche Vielfalt an Lineaturen sehr spannend. Diese hauchfeinen Seidenpapiere bearbeite ich präzise mit Skalpell, so dass nur ein filigranes Netzwerk, eine dreidimensionale Zeichnung übrigbleibt.
Welche Rolle spielt bei dir die Geschichte des Materials?
In den antiquarischen Papieren ist sie sehr präsent. Buchhaltungspapiere, isometrisches Papier, Logarithmuspapier, Millimeterpapier sind in ihrer spezifischen Funktion schließlich am Verschwinden.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Weil meine Arbeit sehr zurückgezogen ist, möchte ich mein Netzwerk weiter ausbauen. Ich finde es auch spannend, sich mehr mit Präsentationstechniken zu beschäftigen.
Interview: Beate Scheder Foto: Christian Manthey
Millie Schwier (geb. 1990 in London, Großbritannien) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Bildhauerei am Edinburgh College of Art und Zeichnung am Camberwell College of Arts in London.
Sie entwirft Skulpturen und Installationen mit einer engen Verbindung zur Architektur und zur Natur. Im Jahr 2017 wurde sie mit dem Bau des Pavillons für das jährliche InTransit Festival in Notting Hill, London, beauftragt. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Nozomi Nakabayashi zeigte sie Arbeiten im Rahmen der Communal Knowledge Summer Show in der Showroom Gallery, London. Im Jahr 2013 baute sie mit Tom Clowney den Make Work Space in London, eine kollektive Werkstatt und einen Wohn-Arbeitsplatz.
Warum Skulptur?
Ich habe immer mit meinen Händen gearbeitet. Außerdem sind Materialität und Prozess wichtig für meine Arbeit. Skulptur bietet dafür breite Möglichkeiten.
Mit welchen Materialien arbeitest du?
Ein, zwei Jahre lang habe ich viel mit Erde gearbeitet, gemischt mit einem bisschen Gips. Diese Materialien geben mir die Möglichkeit, etwas Monumentales zu errichten, das mit der Idee eines Gartens spielt oder eine Form der Rückeroberung von öffentlichem Raum darstellt.
Oft sind Pflanzen Teil deiner Skulpturen. Warum?
Ich spiele mit dem Unterschied zwischen reproduktiver und produktiver Arbeit. Für meine Arbeit ist es wichtig, dass die Pflanzen weiterwachsen und die Arbeiten dadurch etwas Zyklisches, Reproduktives bekommen. Im Moment arbeite ich mit Färberwaid, der europäischen Indigopflanze. Wenn die Pflanzen gewachsen sind, will ich sie zum Färben benutzen. Die Pflanzen, die ich benutze, haben immer etwas mit Essen zu tun oder mit einem Prozess, der jetzt industrialisiert ist.
Du hast oft an öffentlichen Orten gearbeitet. Wie kam es dazu und warum machst du das?
Bei meinen Projekten mit Erde war es wichtig, dass sie im öffentlichen Raum stattfanden. Das hatte viel mit London zu tun, wo ich aufgewachsen bin. London verändert sich gerade stark. Als ich die Möglichkeit hatte, fand ich es seltsam, etwas Permanentes zu machen, was in Verbindung mit der Community steht, weil diese in fünf oder zehn Jahren meist nicht mehr dort wohnen wird. Ich wollte etwas machen, das öffentlichen Raum zurückfordert, aber nicht dauerhaft ist. Also habe ich einen Pavillon aus Bambus, Holz, Erde und Pflanzen gebaut, der nur für zwei Wochen bestand. Meine Arbeit hat viel mit Macht und Machtstrukturen zu tun. Ich suche nach neuen Wegen des Zusammenlebens, die das Gegenteil von Fortschritt und Macht repräsentieren.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ich wohne erst seit anderthalb Jahren in Berlin. Mit Goldrausch möchte ich mein Netzwerk vergrößern und lernen, mit der deutschen Bürokratie besser zurechtzukommen
Interview: Beate Scheder Foto: Stefan Korntner
Textbeitrag: © 2019, Francesca Lacatena. All rights reserved.
Gestaltung: Studio Workshop, wrkshp.de
16 Seiten, 10 Abbildungen
Lena Skrabs (geb. 1990 in Hamburg) lebt und arbeitet in Berlin. Sie schloss ihren MFA in Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien an der Bauhaus-Universität Weimar ab. Während ihres Masterstudiums verbrachte sie ein Jahr in Tokio, wo sie an der Tokyo University of the Arts an der Fakultät für Intermedia Arts studierte.
In ihrer künstlerischen Praxis untersucht Lena Skrabs vor allem die Absurdität der menschlichen Spezies. Ihre Arbeit umfasst verschiedene Medien und bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Objekt, Performance und Partizipation. Arbeit, Freizeit und die festliche Komponente des Alltäglichen sind ihre Schwerpunkte in Forschung und Praxis. Ihre Arbeit ist geprägt vom Glauben an das Spiel, vom Hervorheben des Außergewöhnlichen im Gewöhnlichen, von Präsentationen, Organisationen und Situationen. Seit 2017 arbeitet sie hauptsächlich als einer von zwei Teilen des Kollektivs g.a.d.o.
In deiner Kunst untersuchst du die Seltsamkeiten der menschlichen Spezies. Was ist so seltsam am Menschen?
Eigentlich alles. Man könnte den ganzen Alltag als eine große Performance betrachten. Ein Spaziergang in der Kleingartenanlage oder der Behördengang können ästhetische Erfahrungen sein. Der Fokus auf die performative Qualität des Alltäglichen hat sich besonders während meiner Zeit in Japan manifestiert, wo ich die Menschen bei der Arbeit beobachtet habe.
Was war daran so speziell?
Sie setzen ihre Arbeit auf absurd kuratierte Weise in Szene. Ihre Uniformen verleihen ihnen automatisch Wichtigkeit und einen gewissen Rollencharakter. Am meisten fasziniert haben mich die genau einstudierten Abläufe der berufsspezifischen Choreographie – oft sehr maschinell, mit vielen Wiederholungen. Die Inszenierung der Expertin und ihrer Autorität wurden ein großer Teil meiner Arbeit.
Wie übersetzt du deine Beobachtungen des Alltäglichen in Kunst?
Ich nehme unterschiedliche Charaktere an. Mal bin ich Reiseleiterin, mal Sachbearbeiterin im Patentamt, mal Astronautin. Ich reinszeniere meine Beobachtungen, oft installativ, oft in Interaktion mit anderen, oft an Orten, die nicht mit Kunst besetzt sind. Mit meiner Arbeit möchte ich zum Hinterfragen der Regeln und sozialen Konstrukte einladen, in denen wir uns bewegen. Ich möchte in den Alltag eingreifen und ihn als eine weniger programmierte, weniger bürokratische Wiederholung, mehr als eine unvorhersehbare, inspirierende Reihe von Situationen und Begegnungen präsentieren.
Wie reagieren die Leute auf dich?
Die meisten finden das erst einmal verrückt. Ich habe aber gemerkt, dass sie meine Arbeit nicht unbedingt verstehen müssen, um sich darauf einzulassen. Neue Perspektiven zu öffnen, ein bisschen Verwirrung zu stiften und andere Erfahrungen zu generieren – das treibt mich an.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Ein Großteil der Kunstwelt fördert Konkurrenz und Wettbewerb. In Goldrausch sehe ich einen Ort, der zugunsten von gegenseitigem Support handelt.
Interview: Beate Scheder Foto: Pezhman Zahed
Textbeitrag: Mariane Tremblay
Gestaltung: Maycec
16 Seiten, 13 Abbildungen
Sara Wahl (geb. 1986 in Ulm) studierte freie Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Darauf folgten ein Auslandsstipendium des Landes Baden-Württemberg nach Istanbul, der Förderpreis Junge Ulmer Kunst, ein Ankaufspreis des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie Ausstellungen im In- und Ausland, u.a. in der Städtischen Galerie Krasnodar (RU) im Kunstverein Freiburg und im Museum Ulm.
Im Master in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien intensivierte Wahl die Arbeit an der Schnittstelle zwischen künstlerischer und theoretischer Praxis. Wahls Untersuchungen von Alltagsdingen anhand ihrer Elemente, wie Material und Formsprache, dienen dazu, widersprüchliche Konnotationen aufzuzeigen und gängige Narrative zu unterbrechen. Ihr Ghostwriter-Projekt wurde bspw. bei einer Residency im Herrenhaus Edenkoben, einer ehemaligen Weberei, gezeigt und in Usbekistan, einem der weltweit größten Baumwoll-Produktionsstandorte, zur VIII. Tashkent International Biennale of Contemporary Art.
Deine Skulpturen beziehen sich oft auf Alltagsgegenstände oder medial verbreitete Bilder. Worum geht es dir?
Mir geht es immer um deren soziale und auch ethische Bedeutung. Das sind oft gesellschaftliche Momente, wo es schon Narrative gibt, die Bruchstellen verdecken. Ich versuche, andere Bedeutungen zugänglich zu machen.
Womit und auf welche Art und Weise beschäftigst du dich dabei?
Beispielsweise mit sozialer Distinktion, der Markierung einer höheren sozialen Stellung mithilfe bestimmter Gegenstände. Ich versuche im Alltag aufmerksam zu sein und irgendwann begegnet mir dann oft ein Ding oder ein Bild mit bestimmten Implikationen über unsere Gesellschaft, worin ich etwas erkenne, was in der öffentlichen Wahrnehmung oder in aktuellen Diskursen nicht so präsent ist, Brüche, blinde Flecken, historische Bezüge. Dann fange ich an zu recherchieren und sammle Bilder. Ich halte das bewusst von Beginn an auf einer niederschwelligen visuellen Ebene und manchmal entstehen aus solchen Beschäftigungen dann später ausformulierte Arbeiten.
Was ist dir zuletzt begegnet?
Ich arbeite seit längerem an einem größeren Projekt, das „Ghostwriter“ heißt. Dabei geht es im Prinzip um Indexikalität im Design von Mode. Ich suche Spuren körperlicher Arbeit und gelebter Zeit, die in der Mode imitiert wird.
Was könnte das sein?
Je nach dem, was man arbeitet, welche repetitive Tätigkeit man ausführt, hinterlässt das bestimmte Spuren, abgeriebene Stellen, Löcher oder Schmutz. Weil wir uns hier aber vorwiegend in einer Dienstleistungsgesellschaft befinden, wird Kleidung so vorproduziert und zeigt dann letztlich die Arbeit der Anderen.
Warum machst du bei Goldrausch mit?
Meine Arbeit hat etwas Chamäleonartiges. Ich arbeite viel mit der Eigenästhetik der Dinge, die ich untersuche. Der Verzicht auf eine prägnante formale Signatur verhindert einen schnellen Wiedererkennungswert und leichte Vermarktbarkeit. Ich denke, dass das Goldrausch-Programm mir Wege an reinen Verwertungslogiken vorbei aufzeigt.
Interview: Beate Scheder Foto: Sara Wahl
Fiene Scharps Umgang mit den Rastern der Zeit
Textbeitrag: Theres Rhode
Gestaltung: Koch und Braun
16 Seiten, 13 Abbildungen
Textbeitrag: Gabriella Beckhurst
Gestaltung: Studio Christopher Victor
16 Seiten, 8 Abbildungen
Textbeitrag: Rebecca A. Layton, Lena Skrabs
Gestaltung: Matthias Hüber
16 Seiten, 7 Abbildungen
Textbeitrag: Stefanie Seibold, Sara Wahl (S. 2)
Gestaltung: Delia Keller I Gestaltung Berlin und Sara Wahl
16 Seiten, 11 Abbildungen
256 Seiten ISBN: 978-3-941318-76-2