Presseresonanz von 1991

Presseresonanz von 1991

Ein Artikel von Katrin Bettina Müller, erschienen am 23. September 1991 in der taz. die tageszeitung über die zweite Ausstellung des Goldrausch Künstlerinnenprojekts.

Metamorphosen des Seesterns
14 Künstlerinnen aus Berlin stellen im Bethanien aus: »heute«

Die Metamorphosen eines Seesterns, auf kleine Kärtchen von Eva Bernhardt gezeichnet, durchziehen die Ausstellung heute von 14 Künstlerinnen aus Berlin wie ein Leitmotiv. Neben dem sich wandelnden Tentakelwesen stehen in Schulschrift kurze Behauptungen: »Ich entrolle. Ich entstamme. Ich entschwinde. Ich entsende. Ich entrinne.« Diese sprachlichen Analogien zu den verschiedenen Seinszuständen des Seesterns lassen sich als Behauptungen der Kunst lesen, die ihr Woher und Wohin offen läßt, die sich in ständiger Veränderung jeder Definition entzieht und trotzdem in der Wahrnehmung ausbreitet. Die Streuung der Wortkärtchen durch die Ausstellung entspricht dem Nebeneinander der divergierenden Behauptungen von Kunst. An die Leerstelle des Satzobjektes ist der jeweilige Kontext zu setzen, auf den sich die Arbeiten der Künstlerinnen beziehen.

Vorsichtige Standortfindungen der Künstlerinnen zwischen Atelier und gesellschaftlicher Wirklichkeit waren Teil der Goldrausch-Künstlerinnenfortbildung Ohne Kompromiss, die »Strategien professioneller Selbstbehauptung« zum Lernziel hatte. Das sechsmonatige Seminar, das in die gemeinsame Konzeption der Ausstellung heute mündete, war praktischen Problemen des Kunstbetriebs gewidmet. Die von einem Gremium ausgewählten Teilnehmerinnen wurden über Copyright- und Steuerprobleme, über Ausstellungsinstitutionen und die Berliner Galerie-Szene informiert, sie konnten sich mit Kunstfotografen und -kritikern auseinandersetzen, sie lernten die profanen Niederungen der Künstlersozialkasse, von Förderungsmodellen des Senats und »Kunst am Bau« und die Funktion der Künstlerverbände kennen; kurz, sie wurden vorbereitet auf das Künstlerinnendasein als selbständige Unternehmerin, der keine sorgende Ehefrau das Management ihrer Werke abnimmt.

Bei einer Reihe von Atelierbesuchen und bei der konkreten Konzeption der gemeinsamen Ausstellung fand darüberhinaus eine Auseinandersetzung über künstlerische Positionen statt. Dient die Group-Show einerseits der Propagierung des Goldrausch-Seminars, so ist sie andererseits für die Künstlerinnen ein wichtiger Schritt an die Öffentlichkeit. Die Teilnehmerinnen des letztjährigen Kurses konnten sich zudem je einen eigenen Katalog gestalten, der ihnen über Berlin hinaus als Einstieg in den Kunstbetrieb diente; noch jetzt erreichen Goldrausch Anfragen nach diesem originellen Katalogpaket. Diese Aussicht schärfte auch die Bewerberinnen für das zweite Seminar; doch die Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit kürzte dem Träger Goldrausch kurzfristig die Mittel, so daß die Katalogpläne ins Wasser fielen und nur eine Postkarten-Edition als Trostpreis angekündigt ist.

Nahe dem Eingang lauert die Foto-Installation Das Sigmund Freud Museum im Künstlerhaus Bethanien von Bettina Allamoda auf den Besucher und stürzt ihn gleich in Verwirrung. Ist dies nun ein Freud-Museum oder ein Bild aus einem Museum? Ist dieser mit Figuren und Fotografien überladene Schreibtisch, den das zerteilte und verfremdete Großfoto zeigt, der authentische Arbeitsplatz Freuds oder Teil einer künstlerischen Interpretation seiner Arbeit? Schemenhaft sind Frauenfiguren erkennbar; doch in der wievielten Generation reproduziert, analysiert, kommentiert? Je mehr man sich auf Allamodas Arbeit einläßt, desto mehr entzieht sich der Kern der Geschichte.

Mit der Übersetzung von Formen in fremde Materialien beschäftigt sich Roswitha Jacobi. Ihre Grauen Schalen, gewonnen aus der filzigen Umhüllung eines Brettes, sind zu langen, weichen Filznachen geworden, die einerseits Wärme und Geborgenheit versprechen, andererseits durch ihre Instabilität empfindlich erscheinen. Transformation und die Verwandlung von Materie ist Thema in Ute Mahlings Arbeit C+H2O: In einem Lagerregal wechseln Bretter mit verkohlten Brotlaiben mit schwarzen Blechen ab, in denen Wasser steht. Angesprochen werden in dieser apokalyptischen Kulisse elementare Energien wie Feuer und Wasser und ihre Indienstnahme durch den Menschen; doch ihre scheinbare Beherrschung wird zugleich in Frage gestellt.

Weniger pathetisch nimmt Andrea Sunder-Plassmann in ihrem Raum Ground Control das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt zum Anlaß einer spielerischen Vision. In einem hellgrün-samtigen Kabinett sind Wasserkugeln mit konservierten Blumen in die Wände eingelassen; ein wenig fühlt man sich wie im U-Boot von Kapitän Nemo oder in einer vergrößerten Schneekugel.

Zwischen den konzeptionellen Ansätzen behaupten sich die Malerinnen Maria Schicker und Ina Lindemann. Sie beharren auf der unendlichen Reise durch die Räume, die erst aus der Farbe entstehen. Behelfsmäßig lassen sich Lindemanns große Tableaus als Landschaften lesen; doch die in ihr geöffneten Räume sind weiter, formbarer, ungreifbarer, die Bilder nur Momentaufnahmen einer andauernden Entwicklung.

Mehr einem Exkurs über die Liebe zur Malerei und die Furcht vor den Fallen der Tradition schildert Margarete Hahner in ihrem Raum mit dem Titel Ab heute bist Du für mich ein überstandener Schiffbruch. Auf grüngemalten Wänden hängen grünblaue Wellen- und Küstenbilder. Das Motiv, das schließlich allein schon durch die Farbe assoziiert wird, hält die Farbe mit Bedeutung besetzt und zwingt der Malenden Wiederholungen auf.

Einen anderen Weg das Bild von der Malerei zu lösen, nahm Annette Begerow, die mit Siebdruckpunkten unmittelbar auf der Wand der Ausstellungsräume druckte; sie realisiert ihre Bilder erst im Kontext des konkreten Ausstellungszusammenhanges.

»Ich entschlummere. Ich entschwinde.« skandieren die Kärtchen Eva Bernhardts weiter die Auflösung dessen, was die Kunst denn nun ausmacht. Der Inhalt, der Rahmen, Ort und Zeit ihrer Manifestation und Sichtbarkeit, die Reproduktion, die sprachliche Benennung? Alles steht zur Disposition.

heute, Ausstellung der Goldrausch-Künstlerinnenfortbildung bis 10.10. im Künstlerhaus Bethanien, tgl. außer mo, 10–18 Uhr.